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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
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stimmte, dann warf ich einen kurzen Blick zur Seite, wo Diana am Rand des Vorhangs mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf wartete. Sie stand im Schatten, den der Vorhang warf, aber ihre Silhouette war klar erkennbar. Sie dachte, ich gehörte ihr. Sie dachte, der Erfolg oder Misserfolg dieses Auftritts hätte etwas mit ihr zu tun.
    Ich sah in das Publikum. Saß er irgendwo? Ich wusste nicht, ob ich es mir wünschen sollte oder nicht.
    Der Dirigent räusperte sich und ich starrte ihn böse an. Wo brennt’s denn, Freundchen?, versuchte ich mit meinem Blick zu sagen. Man wird doch wohl noch mal eine Sekunde nachdenken dürfen! Ich war noch nie zuvor unhöflich zu einem Dirigenten gewesen, aber es war gar nicht so schlimm. Irgendwie tat es sogar meinem Selbstvertrauen gut.
    Er hob die Augen an die reich verzierte Decke, als wolle er sagen warum ich? und ließ dann den Taktstock nach unten sausen.
    Die Musik begann und wie durch ein Wunder verankerte sich mein Ohr im Klang. Ich hatte die Angst und all ihre Glätte gegen Wut eingetauscht. Mir würde keine einzige Note davonkommen.
    Ich schaffte meinen Einsatz punktgenau. Die Saiten fühlten sichrasiermesserscharf unter meinen Fingern an, aber der Schmerz hatte etwas Beruhigendes und spornte mich sogar noch an. Verrückt und stark zu sein bedeutete Kontrolle.
    Meine Wut trieb mich durch den ersten Satz, verpuffte aber zu Selbstmitleid, als ich den langsamen zweiten Satz erreicht hatte. Die Trauer der Melodie ergab plötzlich Sinn. Mein eigenes armseliges Leben – dass ich Jeremy hasste, ihn dann nicht mehr hasste, ihn geküsst hatte und dann erkannt hatte, dass der Guarneri-Wettbewerb ein uns unmöglich machte, und natürlich Dianas Anschuldigungen – gab mir die nötige Tragödie. Vielleicht zum allerersten Mal.
    Der letzte Satz war wild. Ich hatte mir schon immer galoppierende Pferde dabei vorgestellt, da mich mein hüpfender Bogen an das Klappern der Hufe erinnerte. Heute Abend war es ein Galopp auf Leben und Tod. Der Dirigent, den ich hinter meiner Schnecke sehen konnte, warf mir einen beunruhigten Blick zu. So schnell hatten wir es nie geprobt – tatsächlich hatte ich es noch nie jemanden so schnell spielen gehört –, aber sein Stock folgte meinem Tempo. Schließlich überkam mich die Hochstimmung der Musik und ich erkannte, dass ich nicht mehr wütend oder traurig war. Das Gewirr der Noten flog nur so von meinen Händen, schneller als ich sie überhaupt erfassen konnte. Das war es, wovon Jeremy gesprochen hatte, dieses Gefühl, fast fertig zu sein.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung schmiss ich die letzten Noten des Konzertes hoch in den Saal. Es war vorbei. Die Bravo-Rufe erklangen, ehe ich die Augen geöffnet hatte und Adrenalin sauste durch meinen ganzen Körper. Ich flog.
    Sobald ich allein in meinem Zimmer war, schickte ich Jeremy eine E-Mail. Ich hatte mich noch nicht einmal umgezogen.
    Suchst du immer noch eine Fremdenführerin?
    -C
    Ich bereute es sofort, nachdem ich sie abgeschickt hatte. Wieso gab es bei E-Mails eigentlich kein Rücknahmerecht, sagen wir, für 60 Sekunden? Das war die Kehrseite des Adrenalinstoßes. Ich war zu aufgedreht zum Schlafen und zu hibbelig, um die Dinge in Ruhe zu durchdenken.
    Das Warten auf eine Antwort war die reinste Qual. Vielleicht hätte ich Jeremy besser eine SMS schicken sollen. Wahrscheinlich schlief er schon. Trotzdem sah ich alle zwei Minuten in meiner Mailbox nach. Zwischendurch hängte ich das Kleid auf, zog meinen Pyjama an, hörte zu, wie sich Clark in der Küche einen Snack zubereitete und Diana sich die Zähne putzte, ordnete die Schuhe in meinem Schrank neu, spielte die Höhepunkte des Auftritts noch mal in Gedanken durch … Und dann erschien plötzlich seine Antwort.
    Sicher doch. Bin nur irgendwie überrascht, dass du deine Dienste anbietest – ich dachte, die Leine ist zu kurz gehalten.
    Jeremy
    Ich tippte schnell eine Antwort.
    Das mit der Leine überdenke ich gerade. Vielleicht ist sie nur so kurz wie ich es zulasse. Warst du heute Abend im Publikum?
    Ich starrte eine volle Minute auf den Bildschirm, ehe ich die Nachricht abschickte. Es schien fast aufdringlich, ihn nach heute Abend zu fragen. Wenn er da gewesen wäre, hätte er mich wahrscheinlich in der Garderobe besucht, aber vielleicht war er ja da gewesen und nur nicht länger geblieben. Vielleicht musste er sofort nach dem Konzert los. Ich drückte auf Senden.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis seine Antwort erschien.
    War nicht da.

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