Virtuosity - Liebe um jeden Preis
lachen.
Jetzt lachte er auch. »Irgendwie peinlich, was?«
»E-Mail ist leichter«, gab ich zu.
»Aber anders. Es ist schön, deine Stimme zu hören.«
Am liebsten hätte ich geantwortet, dass es auch schön war seine Stimme zu hören, und hätte es beinahe auch getan.
»Ich würde sagen, deshalb rufe ich auch an. Um deine Stimme zu hören.«
»Ich saß gerade hier und habe an letzte Nacht gedacht.« Hatte ich das wirklich gerade gesagt? Meine Güte, sei nicht so ehrlich, Carmen! Ich hörte förmlich, wie er durch die Stille grinste, falls das möglich sein sollte. Er dachte auch an den Kuss.
»Also, sehen wir uns dann am Mittwoch?«, fragte ich.
»Zum Baseball-Spiel? Ja klar. Klingt gut. Aber …«
»Aber was?« Ich bereitete mich auf eine Ausrede vor. Irgendwas nach dem Motto aber ich fürchte, Zeit mit dir zu verbringen kann ich mir nicht leisten. Das bringt meine Konzentration für den Wettbewerb durcheinander .
»Aber Mittwoch ist noch so weit weg.«
Vier Tage. Das schien wirklich noch weit weg, eine halbe Ewigkeit. Und er dachte es auch.
»Können wir uns vielleicht morgen treffen?«, schlug er vor.
»Morgen?« Was hatte Diana morgen für mich geplant? Der Gedanke stahl sich in mein Gehirn, bevor ich mich daran erinnern konnte, dass es mir vollkommen egal war. Ich musste mich mehr anstrengen. Vor zehn Minuten hatte ich mich noch in meiner neu gewonnenen Freiheit gesonnt und jetzt versuchte ich schon wieder, mich an ihren Rockzipfel zu hängen?
»Klar, morgen passt gut. Wozu hättest du Lust?«
»Weiß nicht so genau. Ist es warm genug für den Strand?«
»Soll das ein Scherz sein? Falls du es nicht bemerkt haben solltest, es hat gestern geschneit.«
»Ja, aber dann ist es ganz schnell wieder wärmer geworden.«
»Zum Schwimmen ist es auf jeden Fall zu kalt, aber wir könnten am Strand spazieren gehen und uns über kanadische Touristen lustig machen, die trotzdem schwimmen.«
»Verlockend«, antwortete er. »Aber ich glaube, ich habe da eine bessere Idee.«
»Dann mal raus damit.«
»Es soll eine Überraschung sein.«
»Und woher soll ich wissen, was ich anziehen soll?«
»Das ist kinderleicht. Zieh einfach was an, das sexy ist.«
»Wie bitte? Wohin gehen wir denn, dass ich etwas anziehen muss, das sexy ist?«
»Hat gar nichts damit zu tun, wohin wir gehen. Ich finde nur, du solltest generell etwas anziehen, das sexy ist.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
»Du wirst gerade rot, stimmt’s?«
»Quatsch. Wieso sollte ich rot werden?« Ich wurde rot.
»Weil ich glaube, dass du zwar so tough tust, aber im Grunde schüchtern bist und ich dich gerade verlegen gemacht habe.«
»Ich … ich …«
»Ist doch in Ordnung. Du bist rot geworden. Mach dir keine Gedanken deswegen.«
»Halt die Klappe.«
»Nur, wenn du mir versprichst, dich morgen Abend mit mir an der State and Lake -Station zu treffen.«
»Um wie viel Uhr?«
»Um neun.«
Das würde schwierig werden. Diana und Clark wären zu Hause. Nur gut, dass ich keine Angst mehr vor Auseinandersetzungen habe! »Okay, dann bis um neun.«
»Gut. Bist du immer noch rot?«
»War ich nie.«
»Wie du meinst.«
»Gute Nacht, Jeremy.«
»Gute Nacht, Carmen.«
»Carmen.«
Ich schlug die Augen auf. Es war dunkel, aber Dianas Silhouette war im Mondlicht zu erkennen, das durch das Fenster flutete. Sie saß auf der Bettkante und sah auf die Bilderrahmen mit gepressten Blumen, die aufgereiht an der Wand hingen. Wir hatten den Klatschmohn gemeinsam in Nonnas Garten in Mailand gepflückt und ihn anschließend zwischen einem dicken Wälzer über Poesie gepresst, als wir zurück in den Staaten waren. Das war vor drei Sommern gewesen, am Ende meiner ersten Europa-Tournee.
Es dauerte einen Augenblick, ehe ich meine Schlaftrunkenheit vermischt mit den Erinnerungen an Italien, die Blumen und Nonnas hausgemachte Gnocchi verscheucht hatte, aber dann fiel mir die letzte Nacht wieder ein und ich lächelte im Dunkeln.
»Carmen«, flüsterte sie wieder.
»Was ist?«
Sie legte eine Hand auf mein Bein und drehte sich zu mir. Ihre Augen glänzten, ihre Wangen waren aufgedunsen und sahen rau aus. Sie hatte geweint. Meinetwegen.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Ich wartete, aber sie blieb stumm. Vielleicht war es besser so. Nun konnte ich annehmen, dass ihr einfach alles leid tat: der Druck, den sie auf mich ausgeübt hatte, dass sie mir Inderal aufgeschwatzt hatte und mir nicht geglaubt hatte, ich könne auch ohne Betablocker spielen
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