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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
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zittern. Ich nahm meine Geige und übte eine letzte Runde Lagenwechsel. Sie klangen hässlich und weinerlich (laut Clark klangen die Übungen genauso wie das Schreien einer Katze, wenn man sie am Schwanz schwingt), aber sie halfen dabei, die Finger zu durchbluten.
    Diana zog sich derweil um. Sie hatte ein langes, körperbetontes malvenfarbenes Abendkleid mitgebracht und tat, als beobachtete sie mich nicht. Ich übte weiter und tat, als hätte ich nicht bemerkt, dass sie so tat, als beobachtete sie mich nicht.
    Als jemand an die Tür klopfte, schraken wir beide zusammen. »Fünf Minuten«, kam eine gedämpfte männliche Stimme aus dem Flur.
    Mein Magen hob sich, meine Knie gaben nach. Mein Ellen­bogen stieß auf die Kante des Flügels, sonst wäre ich glatt zu Boden gegangen. Ich lehnte mich gegen das Instrument und versuchte, Balance zu halten.
    »Carmen!«, schrie Diana auf. Klang ihre Stimme immer derart schrill? »Alles in Ordnung?«
    »Alles okay.«
    »Hast du vergessen, etwas zu essen?«
    »Ähm …« Das war tatsächlich eine prima Ausrede. »Ja.«
    Sofort begann sie, in ihrer Tasche zu wühlen und etwas über zu niedrigen Blutzucker zu murmeln und darüber, wie wichtig es sei vorauszudenken. Als sie mit ihrer Predigt fertig war, zog sie einen Proteinriegel, drei Pfefferminzbonbons und eine Tüte Lakritz hervor. Ich musste alles aufessen.
    »Es wird Zeit«, sagte sie dann.
    Ich würgte das letzte Stückchen Lakritz hinunter und wusch mir die Hände. Dabei ließ ich brühend heißes Wasser über die Haut laufen. Vielleicht würde es die Finger aufwärmen. Aber sobald ich den Hahn abgedreht und die Hände abgetrocknet hatte, waren sie schon wieder eiskalt.
    Warum tat ich mir das an? Warum hatte ich nicht einfach die Inderal genommen, wie ich es eigentlich hätte tun sollen? Aber im Grunde war es jetzt egal. Es war zu spät.
    Diana folgte mir den Flur hinunter, der zum Vorhang rechts von der Bühne führte. Eine Handvoll Leute warteten bereits dort – der Dirigent, Maestro Chang, der dem Bühnenmanager letzte Anweisungen gab, ein Techniker, den ich nicht wiedererkannte, ein Bühnenarbeiter, der je einen metallenen Notenständer unter den Armen trug. Ich stand ein wenig abseits von der Gruppe, holte zitternd Luft und schloss die Augen.
    Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber die Musik in meinem Kopf war noch nie so schwindelerregend gewesen. Rollende Wellen melodischer Passagen überschnitten einander, Tschaikowskys wunderschöne Themen waren unnatürlich miteinander vermischt. Ich hatte das Gefühl, auf einem schwankenden Schiff zu stehen und gleichzeitig in einen Zerrspiegel zu blicken. Es war ein dissonanter Albtraum.
    Plötzlich spürte ich etwas Nasses in meinem Mund und wusste sofort Bescheid. Schnell drückte ich Diana meine Geige in die Hand und sah mich panisch nach einem Behälter um, in den ich mich übergeben könnte. Nichts. Als ich es fast nicht mehr zurückhalten konnte, entdeckte ich plötzlich einen Papierkorb, rannte hinüber und schaffte es gerade noch rechtzeitig. Musste das ausgerechnet jetzt sein? , fragte ich mich, während ich in den Papierkorb würgte. Selbst mitten in den Zeitlupen-Krämpfen war ich mir bewusst, dass mindestens fünf Augenpaare auf mir ruhten, dass Dianas Hand auf meinem Rücken lag, dass die dissonanten Noten immer noch in meinem Gehirn umherschwirrten und dass ich auftreten musste. Ein Proteinriegel, drei Pfefferminzbonbons und eine Tüte Lakritz. Sie musste mich ja dazu zwingen, gleich alles auf einmal zu essen. Ich war fertig. Mein Kiefer schmerzte.
    »Fühlst du dich besser?«, erkundigte sich Diana. Ihre Stimme war klein und hart wie ein Kieselstein.
    »Nein.« Ich fühlte mich nicht besser, ich fühlte mich schwach.
    »Warum nur.«
    Sie wusste Bescheid.
    Ich zwang mich dazu sie anzusehen. Ich hielt mich am Papierkorb fest und bereitete mich auf ihren Wutanfall vor. Aber sie sah gar nicht sauer aus. Ihr Mund stand leicht offen, Tränen schwammen in den Augen und die Augenbrauen waren hochgezogen, als hätte sie furchtbare Schmerzen. Sie sah aus, als hätte man sie verwundet, als hätte ich ihr mit aller Kraft in den Magen geboxt.
    »Warum?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Warum musstest du das ausgerechnet jetzt machen?«
    Sie war kurz davor zu weinen. Ich starrte sie an, fühlte aber nichts. Zumindest erst mal nicht. Dann setzte die Wut ein und umzingelte mich wie ein Lauffeuer. Sie denkt, ich will sie bestrafen.
    »Es geht hier gar nicht um dich«,

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