Virtuosity - Liebe um jeden Preis
hältst dich also für ziemlich schlau?«, fragte er und klang halb verspielt, halb großspurig.
»Ich muss ja nur schlauer sein, als du denkst, oder nicht?« Ich folgte ihm durch das Drehkreuz die Treppe hinunter auf den Bahnsteig.
»Dann muss ich es jetzt ja unmöglich schwer machen, damit ich dich nicht beleidige. Das war nicht besonders schlau von dir.«
»Meine Güte, jetzt gib mir endlich den Hinweis.«
»Okay, okay«, gab er nach. »Wir gehen in ein Klavierkonzert.«
»Das ist doch überhaupt kein Anhaltspunkt. Jetzt hast du mir doch schon gesagt, wohin wir gehen.«
»Weiß ich selbst. Du hast mich mit deinem Gefasel über Anhaltspunkte weichgeklopft.«
Ich sah an meinem Pullover und meiner Jeans hinunter. »Und ich bin überhaupt viel zu lässig angezogen, na vielen Dank auch.«
Wir betraten die Bahn und die Türen schlossen sich hinter uns. »Nein, du bist perfekt angezogen«, widersprach er und musterte mich endlich. Ich spürte seine Hand auf meiner Taille, die mich zu einer Sitzbank schob. Alles in mir schmolz dahin. Es war unmöglich, seine Berührung zu spüren, ohne dabei an den Kuss zu denken oder ein normales Gespräch zu führen. Wo gingen wir noch mal hin? Ein Konzert. Ein Klavierkonzert.
»Wer spielt?«
»Nein, der Rest ist immer noch geheim.«
Ich sah auf die Bahnkarte und runzelte die Stirn. »Und wo findet dieses Konzert statt? Sag mal, weißt du überhaupt, wo wir hinmüssen?«
»In Richtung Norden und ich versuche mal, nicht beleidigt zu sein, weil du glaubst, dass ich nicht in der Lage bin, Chicagos öffentliches Verkehrsnetz zu bewältigen.«
Es war einfacher, sich mit ihm zu unterhalten, während wir dicht nebeneinander saßen und einander berührten, ohne dass ich ihm dabei in die Augen sehen musste. Andererseits wäre es sicher nett gewesen, ihn anzuschauen.
»Aber das ist die falsche Richtung. Ich kenne keine einzige Konzerthalle in dieser Richtung.«
»Carmen«, entgegnete er und wandte sich mir zu. Ich hatte keine andere Wahl und musste zu ihm aufsehen, in seine Augen blicken, die nur wenige Zentimeter von meinen entfernt waren. Ihr Blau war tiefer als ich es in Erinnerung hatte. »Kannst du mir nicht einfach vertrauen?«
Die Pause, die folgte, war zu lang. Ich war davon abgelenkt, wie neu das alles für mich war. Sein Geruch, das Gefühl, auf diese Weise angesehen zu werden, die Wärme seines Beines neben meinem.Und vielleicht wusste ich einfach keine Antwort auf seine Frage. »Ich weiß es nicht.«
»Versuch’s.«
Wir stiegen am Lawrence aus und Jeremy hielt meine Hand, während wir durch ein Viertel spazierten, in dem Diana und Clark auf der Durchfahrt ihr Auto verriegelt hätten. Nach ein paar dürftigen Häuserblöcken und noch dürftigeren Gestalten erkannte ich den Neonschriftzug vor uns und wusste, dass wir unser Ziel erreicht hatten. The Green Mill. Ein berühmter Jazzclub, der allerdings nichts mit den Konzerthallen gemeinsam hatte, die ich gewohnt war.
»Jeremy, ich bin doch noch gar nicht einundzwanzig«, entfuhr es mir, ehe ich merkte, wie albern das klang. Er war es ja schließlich auch noch nicht.
»Das macht nichts. Ich kenne den Türsteher.«
»Woher kennst du denn den Türsteher? Ich dachte, du kennst gar keine Menschenseele in Chicago.«
»Ich kenne ihn ja nicht wirklich, aber ich war letztens hier, weil ich gehört hatte, dass die Musik unglaublich toll sein soll. Er wollte mich nicht reinlassen, aber ich bemerkte, dass er einen Manchester-United-Schal trug und wir kamen über Fußball ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass er eine Zeit lang in London gelebt hatte. Jedenfalls konnte ich ihn schließlich davon überzeugen, dass ich wegen der Musik gekommen war und nicht, um Alkohol zu trinken und er ließ mich rein.«
Wir standen jetzt vor dem Eingang. »Du warst wirklich noch nie hier?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe schon davon gehört , war aber noch nie drin.«
»Super«, freute er sich. Er wirkte wie ein kleiner Junge, vollkommen aufgeregt und furchtbar stolz auf sich selbst. »Es wird dir gefallen.«
»Ich kenne mich gar nicht mit Jazz aus.«
»Das macht nichts.« Er zog mich zur Tür und öffnete sie. »Du kennst dich mit Musik aus. Jazz wirst du von selbst verstehen.«
»Mikey!« Jeremy schlug in die Hand eines riesigen Mannes ein, der die Tür bewachte. Er war ungefähr genauso groß wie Jeremy und mindestens doppelt so schwer. Er trug eine Lederjacke, einen Ring am kleinen Finger und einen Ohrstöpsel mit
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