Virus (German Edition)
war genervt. Was interessierte es sie, wenn zwei
Leichen einen Schnupfen zu bekommen drohten? „Also, lassen Sie die Katze aus
dem Sack”, fuhr sie mit leichtem Sarkasmus in der Stimme fort. „Ich kann die
Spannung kaum noch ertragen. Was hat die beiden geplagt? War es ein Herpes oder
eine Warze?”
„Exakt ist der Erreger noch nicht
identifiziert. Dafür brauchen wir Sie ja.”
„Glauben Sie wirklich, es gibt im
Moment nichts Wichtigeres, als einen blöden Virus zu identifizieren?”
„Miss Ashcroft, wir wissen über
den Erreger im Moment nur so viel: Es handelt sich um einen Coronavirus.”
Von einer Sekunde auf die andere
verschlug es Debbie die Sprache. Sie blickte zu Holger, der während des
gesamten Gesprächs nicht ein Wort beigetragen hatte. Er erwiderte ihren Blick,
doch mehr als Hilflosigkeit konnte sie nicht aus seinem Gesicht ablesen.
Der arme Holger. Gerade eben
hatte er zum ersten Mal seit zwei Jahren über den Tod seiner Frau gesprochen
und jetzt wurde er in seiner Trauer und seiner Verarbeitung so jäh von der
Nachricht der Entdeckung des Coronavirus’ unterbrochen.
Und was hatte es damit auf sich? Coronaviren
waren nicht selten. Wenn auch im Tierreich stärker verbreitet, so zeichneten
sie doch unter den Menschen immerhin für das Auslösen etwa eines Drittels aller
Erkältungskrankheiten verantwortlich. Im Prinzip also war ein Coronavirus nichts
Sonderbares. Doch ein Zusammenhang, den Debbie einfach nicht als Zufall abzutun
in der Lage war, hatte ihr die Sprache verschlagen – eine andere durch diese
Virenart ausgelöste Erkrankung. Das schwere akute respiratorische Syndrom, kurz
SARS.
Konnte das ein Zufall sein? So Vieles
in dieser Mordserie schien sich um SARS zu drehen, und nun waren beide Opfer
mit einem Virus der Familie infiziert, die diese Krankheit auslöste. Und wenn
dem so war, so waren die weitergehenden Implikationen noch weit erschreckender.
SARS war seit Mitte 2003 nicht
mehr aufgetreten. Zudem hatte Sam als Epidemiologin nie in einem Labor
geforscht, wo sie sich durch Unachtsamkeit hätte infizieren können. Die
Epidemiologie war weit eher der Soziologie verwandt als der Biologie und
beschäftigte sich nicht direkt mit Viren, sondern mit Ausbreitungsmustern und
Eindämmungstheorien. Sollte Sam tatsächlich mit einem SARS-Virus infiziert
gewesen sein, so konnte das eigentlich nur bedeuten, dass der Mörder es ihr
absichtlich injiziert haben musste.
Was das bedeutete, mochte Debbie
sich gar nicht erst ausmalen. Nicht, bevor sie nicht sicher sein konnte, dass
es sich tatsächlich um einen SARS-Erreger handelte.
„Wieso ich?” fragte sie Driver
schließlich. Sie war sich immer noch nicht sicher, was sie von dem angeblichen
CIA-Mann halten sollte.
„Leider weigern sich die
deutschen Behörden, mit uns zusammenzuarbeiten”, erwiderte dieser. „Wir sind
also gezwungen, unsere eigenen Nachforschungen anzustellen. Bedenken Sie, dass
es hier unter anderem um die Sicherheit unseres Präsidenten geht.”
„Woher wissen Sie überhaupt von
dem Virus, wenn die deutschen Behörden nicht kooperieren?”
„Wir haben unsere Mittel und
Wege, um es mal so auszudrücken.” Driver lächelte verschmitzt. „Jedenfalls
wollen wir, dass ein amerikanischer Virologe den Virus untersucht. Sie sind vor
Ort und Sie haben eine ausgezeichnete Reputation.”
„Oh, ich bin mir sicher, die CIA
weiß weit mehr als ich über mich”, erwiderte Debbie patzig. Offenbar hatte man
Nachforschungen über sie angestellt und das gefiel ihr gar nicht. Sie ahnte,
dass die CIA sich nicht allein mit ihrem exzellenten Ruf als Forscherin
zufrieden geben würde. Mit Sicherheit hatte man auch versucht, soviel wie
möglich über ihre Integrität und ihre Loyalität ihrem Heimatland gegenüber
herauszufinden, oder einfach gesagt, man hatte ihr Leben komplett
durchleuchtet.
„Ich weiß, dass Sie durchaus ein
gewisses Engagement in diesen Mordfällen zeigen”, fuhr Driver unbeirrt fort.
„Ich habe ihren Streit mit Wegmann im Fernsehen gesehen. Wer kann es Ihnen
verübeln, wenn man bedenkt, dass Ihr Chef eines der Opfer war.” Er machte eine
Pause, offenbar um Debbie Zeit zu geben, über seine Bitte nachzudenken.
Doch im Prinzip hatte sie ihre
Entscheidung längst getroffen. Sie musste einfach wissen, ob es sich bei dem
Virus um einen SARS-Erreger handelte, viel zu groß war ihre Anspannung. Ohne
dieses Wissen würde sie sowieso keine Sekunde schlafen können. Doch auf der
anderen Seite stand Holger. Sie
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