Virus (German Edition)
zweifelte. Ein Tunnelbau wäre aufgefallen.
„Keine Ahnung”, erwiderte
Hausmann. „Ich habe ihn lediglich entdeckt.”
„Wo befindet sich dieser Tunnel?”
Hausmann beschrieb die Lage des
Tunnels und seiner Eingänge und Herforth verließ den Verhörraum kurz, um
anzuordnen, dass eine Streife die Angaben überprüfen möge. Dann kehrte sie an
den Tisch zurück, nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, stützte die Ellenbogen
auf und blickte Hausmann erneut in die Augen.
„Wie haben Sie Professor Trébor
ermordet?” wechselte sie das Thema zum dritten Opfer.
„Ich habe ihn vergiftet.”
„Wie sind Sie an Curare gelangt?
Es ist ein äußerst seltenes Gift.” Ihr letzter Versuch einer Falle.
„Wie kommen Sie auf Curare? Ich
habe ihn mit Thujon vergiftet.”
Auch von Thujon war in den Medien
nie die Rede gewesen. War dieser Junge, der mit seinem jugendlichen Gesicht und
seiner schmächtigen Figur locker noch als Achtzehnjähriger durchgehen konnte,
tatsächlich der Serienkiller?
„Was ist Ihr Motiv?” Auch das
Wiederholen von Fragen war eine gängige Strategie, um Verdächtige in Fallen zu
locken. Nicht selten gaben sie unterschiedliche Antworten auf gleiche Fragen
und entlarvten sich so als Lügner.
„Wie ich schon sagte. Jemand
musste ein Zeichen setzen”, wiederholte Hausmann. Erneut wirkte seine Stimme
seltsam tonlos.
„Wieso die Opferauswahl?”
„Um zu zeigen, wie krank die
globalisierte Welt ist.”
Herforth glaubte, den Grund für
seine Tonlosigkeit erahnen zu können. Hass und Verachtung auf die G8 raubten
ihm die Stimme. Dieser Junge verfügte über eine tiefe Überzeugung. Und
Überzeugung, das wusste Herforth aus ihrer Erfahrung mit Terroristen, konnte
Unglaubliches bewirken.
„Was hat Sie dazu bewogen, sich
für diese speziellen Mordarten zu entscheiden?” fragte sie weiter.
„Zufall”, erwiderte Hausmann.
Seine Stimme war zurückgekehrt, doch die Antwort gefiel Herforth nicht. Die
Theorie der Anlehnung an die Apokalypse hatte Sinn ergeben. Der Mörder schien
seine Morde mit Stolz inszeniert zu haben. Wieso gab er die Allegorie dann
nicht ebenso stolz zu?
Es klopfte an der Tür und ein
Kollege vom BKA bat Herforth um eine kurze Unterredung. Sie verließ den
Verhörraum ein weiteres Mal.
„Was gibt es?” fragte sie, froh
dem Verhör für ein paar Minuten zu entgehen. Sie musste sich sammeln, denn
selten war es ihr so schwer gefallen, einen Verdächtigen einzuschätzen.
„Wir haben in einem Mülleimer in
der Nähe der Gegend, in der Hausmann zeltet, eine Farbsprühdose gefunden”,
begann der BKA-Mann. „Es ist der Farbton, der für das Graffiti am
Kongresszentrum verwendet wurde. Natürlich liegt uns noch keine chemische
Analyse vor, aber es ist davon auszugehen, dass es die exakte Dose ist, mit der
das Graffiti gesprüht wurde. Immerhin richtet sich der Schriftzug offen gegen
die Globalisierung, und die Dose wurde direkt am Zeltplatz der
Globalisierungsgegner gefunden.”
„Macht Sinn”, warf Herforth ein.
„Auf der Dose haben wir
Fingerabdrücke isolieren können”, fuhr ihr Kollege fort. „Es sind Hausmanns.”
„Kein Zweifel?”
„Kein Zweifel.”
„Das Graffiti ist also von
Hausmann. Ob er der Mörder ist oder nicht”, sinnierte Herforth. „Demnach war er
in jedem Falle im eingezäunten Bereich.”
„Das ist die andere Sache”, hakte
sich ihr Gegenüber wieder ein. „Eine Streife hat die Angaben über den Tunnel
überprüft. Sie treffen zu. Es gibt einen Tunnel in den eingezäunten Bereich. Er
ist lang genug, so dass beide Eingänge weit weg vom Zaun und von Büschen
verborgen liegen. Deshalb wurde er vorher nie entdeckt. Selbstverständlich
haben wir sofort eine Überwachung der Eingänge angeordnet.”
Herforth nickte. Die Evidenz
wurde immer zwingender. So ungern sie es auch glauben mochte, und so viele
Fragen auch noch offen waren, so unumstößlich waren doch die bereits
vorliegenden Fakten. Und die sagten sehr unmissverständlich, dass hinter der
Tür zum Verhörraum der Mörder der drei Professoren saß.
83.
Sein Augenlicht hatte Eugen
Kaczmarek über die Jahre verloren und zuletzt auch seinen Willen zu leben. Er
war alt, er war einsam und er spürte, dass seine Beine ihn nicht mehr lange
würden tragen können. Wann würden sie ihn holen kommen?
Wenn seine gebrechlichen Glieder
erst ihren Dienst versagten, würde er bettlägerig werden. Er wusste von
Freunden, die über Jahre hinweg so dahinvegetiert hatten, und hoffte inständig,
dass
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