Virus (German Edition)
nicht einmal passiert sein
sollte – hier und heute ist es passiert. Es gibt dafür 150 Zeugen. Es war ein
Blitz.”
„Und die Schrift? Und der Ton?”
hakte Debbie nach. „Es ist doch ganz offensichtlich, dass jemand hier irgendwie
rumgetrickst hat.”
„Die Ausbreitung von Feuer ist absolut
zufällig”, erklärte Wegmann.
Nicht noch so ein
Pyroexperte! dachte Debbie.
„Wenn Sie irgendwelche Zeichen
gesehen haben”, fuhr er fort, „dann ist das ausschließlich auf Ihren Schock
zurückzuführen. Und der Ton ist wahrscheinlich ein sogenanntes psychologisches
Massenphänomen. Das sagt jedenfalls der örtliche Pastor und der ist diesbezüglich
geschult.”
Dieser Pfarrer wurde immer
schlimmer. Selbst jetzt, wo er gar nicht anwesend war, funkte er dazwischen und
raubte Debbie den letzten Nerv. Sie musste an sein arrogantes Leiern denken und
ein kurzer Würgreiz überkam sie. „Sie müssen doch zugeben, dass die Umstände
sehr dubios sind, oder?” sagte sie schließlich.
„Tragisch würde es wohl eher
treffen. Unfälle sind tragisch. Ihr Verlust tut mir sehr, sehr leid, Dr.
Ashcroft. Aber bitte vertrauen Sie der Ansicht eines erfahrenen Polizisten. Ich
habe über fünfundzwanzig Dienstjahre auf dem Buckel und das hier war ein
tragisches Unglück.”
Debbie konnte ihre Emotionen
nicht länger zurückhalten. Wie so viele Amerikaner trug sie ihr Herz auf der
Zunge. Manche nannten es Unbeherrschtheit, andere nannten es sympathische
Offenheit. Debbie war es egal und in diesem Moment erst recht. „Ist das bei
Ihnen Inkompetenz oder Faulheit? Oder ein bisschen von beidem?” fauchte sie
Wegmann an. „Sehen Sie wirklich nicht, was hier passiert oder wollen Sie es
einfach nicht sehen?” Wegmann blickte sich mit sichtlichem Unbehagen um. Seine
Augen zuckten noch wilder als zuvor zwischen den umher stehenden Kollegen
umher, die nicht mehr verbergen konnten, dass sie lauschten und großen Spaß an
der Diskussion gefunden hatten.
„Das reicht”, entgegnete Wegmann
ranzig. „Ich muss Sie jetzt bitten, zu gehen. Zivilisten sind hier nicht…”
Weiter kam er nicht. Plötzlich
drang hektisches Gebrüll von den Eingängen herüber, Menschen rannten in Panik
umher. Debbie hörte Wortfetzen wie ‚Randale’ und ‚Steinewerfer’.
Binnen weniger Sekunden brandete
eine Flut von Menschen in den Saal zurück und das eben erst abebbende Chaos
brach von Neuem los. Einige der herein sprudelnden Menschen waren
blutverschmiert, andere sogar benommen und mussten gestützt werden.
Was war das für ein Tag? Der Tod
des Professors, die Art und Weise seines Todes, der zynische Pfarrer, der
verbockte Bulle – und jetzt auch noch Randale? War denn die ganze Welt verrückt
geworden? Für einen kurzen Augenblick war Debbie wie in Trance, nahm kaum noch
wahr, was um sie herum passierte.
So bemerkte sie zunächst auch
nicht, dass Wegmann sie stehen ließ, ohne sie eines weiteren Blickes zu
würdigen, und in Richtung des Eingangs rannte. Eher unterbewusst registrierte
sie, wie er einem anderen Polizisten die Papiere in die Hand drückte, die der
Notarzt ihm gegeben hatte.
Das holte sie in die Realität
zurück. Es konnte sich nur um den Leichenschauschein handeln. Da würde sie
gerne mal einen Blick drauf werfen. Mit ein bisschen Glück würde auf dem
Dokument stehen, in welcher Rechtsmedizin der Leichnam des Professors obduziert
werden würde. Vielleicht konnte sie dort etwas herausfinden. Die Frage war
jetzt: Wie konnte sie an das Papier gelangen?
Eigentlich sollte es nicht allzu
schwer werden. Wenn sie richtig gehört hatte und draußen tatsächlich Radikale
randalierten, dann würde der Polizist Wichtigeres zu tun haben, als auf ein
Stück Papier aufzupassen. Er würde es irgendwo ablegen, so wie Wegmann es
schnell loswerden wollte. Sie musste ihm also nur folgen.
Doch damit lag sie leider falsch.
Der Polizist blieb auf seinem Posten und schien sich nicht unbedingt dafür zu
interessieren, was draußen passierte. Und dann erinnerte sie sich: Für den
Kampf gegen Randalierer waren speziell ausgebildete und vor allem natürlich
speziell ausgerüstete Sondereinheiten zuständig und nicht die örtliche Polizei.
Dumm von ihr.
Sie brauchte schnell einen Plan
B. Nett lächeln, dem Polizisten schöne Augen machen? Quatsch, sowas klappte nie.
Zumal sie sich sicher war, dass sie nach den Ereignissen der letzten Dreiviertelstunde
nicht über die dafür notwendigen schönen Augen verfügte. Sie dachte nach. Sie
war Wissenschaftlerin.
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