Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
Vom Netzwerk:
Wissenschaftler fanden immer einen Weg. Zumindest die
guten. Die schlechten gingen zum Fernsehen.
    Das war es! Natürlich, es war so
einfach! Sie musste einfach der Redensart folgen, die seriöse Wissenschaftler
am meisten verabscheuten: Eine starke Behauptung ist besser als ein
schwacher Beweis.
    Populärwissenschaftler zogen die
Begeisterung der Massen auf sich, indem sie populistische Behauptungen
aufstellten und mit wackeligen Belegen stützten. Wirklich zu beweisen waren
diese Behauptungen natürlich nicht, aber das interessierte die Massen nicht. Der
breiten Öffentlichkeit gefielen die Implikationen der sensationsschwangeren Behauptung
und sie wurden taub für die Einwände seriöser Wissenschaftler.
    Diese scharlatangleichen
Volksverhetzer präsentierten ihre Behauptungen häufig im Fernsehen, aber nie
auf Kongressen vor seriösen Kollegen oder in Fachzeitschriften. Und immer war
es ihr selbstbewusstes und überzeugendes Auftreten, das sie glaubhaft machte.
Populärwissenschaftler – Debbie konnte schon das Wort nicht leiden. Für sie war
es ein Widerspruch in sich.
    Aber hier würde ihr dieses
Vorgehen weiterhelfen. Sie musste nur selbstbewusst und überzeugend auftreten.
Wenn sie dem Polizisten eine Behauptung geben konnte, die dieser selbst
verifizieren konnte, dann würde das Debbie in seinen Augen Glaubwürdigkeit
verleihen. Und sie konnte ihm gleich zwei geben. Sie wusste, dass er den
Leichenschauschein hatte und sie wusste, dass er ihn von Wegmann erhalten
hatte. Woher hätte sie das wissen sollen? Der Polizist musste ihr einfach
glauben.
    Sie sprach ihn an. „Guten Tag.”
    „Tag”, entgegnete der Polizist.
    „Ich bin die Assistentin des
leichenschauenden Arztes. Er braucht den Leichenschauschein nochmal kurz, weil
er etwas vergessen hat”, sagte sie. Der Polizist guckte unsicher, doch jetzt
würde sie zum entscheidenden Schlag ansetzen. „Hauptkommissar Wegmann sagte mir,
er habe Ihnen den Schein gegeben?”
    Es wirkte. Debbie hatte Mühe,
sich ein Lachen zu verkneifen, als der Polizist mit den Worten „Wegmann schickt
Sie?” in seine Jackentasche griff und den Leichenschauschein hervor holte.
Offenbar arbeitete sein Gehirn genau die Prozesse ab, die Debbie vorausgesagt
hatte. Woher sollte sie wissen, dass er das Dokument hatte, und woher sollte
sie wissen, dass er es von Wegmann hatte, wenn nicht ebendieser sie wirklich
geschickt hatte? Manchmal war eine starke Behauptung leider eben doch besser
als ein schwacher Beweis.
    Debbie nahm das Dokument entgegen
und hielt Ausschau nach einem Ort, wo sie unauffällig einen Blick darauf werfen
konnte. Nach wie vor wimmelte es von hektisch umher rennenden Menschen. Hier
war man nirgendwo für sich.
    Oder doch? Vielleicht sogar
überall? Sie war zwar unter Hunderten von Menschen, aber alle waren so
beschäftigt, dass niemand ihr auch nur die geringste Beachtung schenken würde.
Es war perfekt. Inmitten dieses Chaos’ war der wohl ungestörteste Ort von ganz
Petersdamm.
    Sie überflog die Zeilen. Auf der
letzten Seite schließlich las sie etwas, das ihre Knie erneut weich werden
ließ: Bei der Wahl zwischen dem natürlichen und dem nicht natürlichen Tod war
Ersteres angekreuzt. Als angenommene Todesursache wurde Herzversagen angegeben.
    Sie schloss ihre Augen und
öffnete sie erneut, doch auf dem Schein stand immer noch das Gleiche. Selbstverständlich
würde es keinem Herzen guttun, wenn abertausend Volt hindurch strömten. Aber
das einen natürlichen Tod zu nennen, glich einer Farce. Wie konnte ein Arzt das
verantworten?
    Doch Debbie konnte es sich
denken. Sie hatte vor einigen Jahren in einer Zeitschrift einen Artikel über
die Methoden der Polizei gelesen, Mordermittlungen zu umgehen, wenn die
Ermittler nach ihrem ersten und zumeist oberflächlichen Ermessen der Meinung
waren, es handele sich nicht um ein Tötungsdelikt.
    Sie erinnerte sich, wie Wegmann
auf den Notarzt eingeredet hatte, und plötzlich ergab alles einen Sinn. Die
Frage, ob der Kommissar dumm oder einfach nur faul war, hatte Klärung erfahren.
Er war mitnichten dumm. Ganz im Gegenteil. Exakt kalkulierend hatte er genau
die Maßnahme ergriffen, die ihm die Ermittlungen in einem Tötungsdelikt
ersparte.
    Es würde also keine Autopsie
geben. Die einzige Chance, an Hinweise zu gelangen, war zunichte gemacht,
Debbies einzige Hoffnung begraben.
    Auf wackeligen Beinen schleppte sie
sich zur Bühne und setzte sich vor ihr auf den Boden, das Podium im Rücken, das
Chaos vor Augen. Die Luft

Weitere Kostenlose Bücher