Virus (German Edition)

Sie entdeckt?” fragte er in sachlichem Ton.
    „Es war Mord”,
antwortete Dr. Tremmel mit leiser, nahezu dramatischer Stimme. „Professor
Dickinson ist ermordet worden.”
    „Und was macht Sie da
so sicher?” erkundigte sich Wegmann. „Sie sagten doch heute Morgen, die Frau
sei ertrunken. Wie wollen Sie wissen, ob sie von alleine abgesoffen ist, oder
ertränkt wurde?”
    Dr. Tremmel ging
zurück hinter den Sektionstisch und stützte beide Arme auf denselben, bevor er
antwortete. Offenbar hatte er große Freude daran, die Kommissare in Spannung zu
halten.
    „Das Opfer ist nicht
in der Ostsee ertrunken”, sagte er schließlich. „Sie muss posthum dorthin
gebracht worden sein.”
    „Unmöglich”, entfuhr
es Wegmann und er bereute es augenblicklich. Eine Reaktion wie diese war genau
das, worauf Tremmel mit seinen Spielchen gehofft hatte, und es missfiel
Wegmann, ihm diesen Gefallen getan zu haben. Er räusperte sich kurz, und fuhr
dann weitaus ruhiger fort. „Die Polizeipatrouillen am Strand halten es schon
für unwahrscheinlich, dass eine Person unbemerkt ins Meer gelaufen sein kann. Aber
es ist völlig ausgeschlossen, dass jemand einen Leichnam ins Meer geschleppt
hat. Und von außerhalb kann die Leiche auch nicht angetrieben worden sein, denn
die Polizeiboote und Marinefregatten hätten sie auf jeden Fall bemerkt.”
    „Herauszufinden, wie
das möglich ist, ist ihre Sache, Herr Kommissar”, erwiderte Dr. Tremmel
genüsslich. „Es ist jedenfalls ein unumstößlicher Fakt.”
    „Wie können Sie da so
sicher sein?”
    „Das Opfer ist nicht
nur nicht in der Ostsee ertrunken”, antwortete der Rechtsmediziner, „sondern
nicht einmal in Wasser.”
    Er machte eine kurze
Pause und blickte in die ratlosen Gesichter seiner Gegenüber.
    „Professor Dickinson
ist in Blut ertrunken”, fuhr er schließlich fort. „Ihre Lungen sind voll davon.”
    Wegmann guckte zu
Lars rüber, doch der zuckte nur ratlos mit den Schultern. In Blut? Dr. Tremmel
musste sich irren.
    „Wie können ihre
Lungen voll mit Blut sein? Müsste es nicht hinaus geflossen und sich mit
Ostseewasser vermischt haben? Immerhin ist die Luftröhre doch ein offener
Kanal, oder nicht?” fragte er.
    „Die Antwort auf Ihre
Frage ist ein weiteres Indiz, dass es sich um Mord handelt”, antwortete
Tremmel. „Das Blut konnte nicht aus der Lunge laufen, denn die Luftröhre war
mit Seetang verstopft. Jemand muss ihr das Zeug in den Hals gesteckt haben.
Jemand, der wollte, dass das Blut in der Lunge bleibt.”
    Wegmann starrte den Rechtsmediziner
ungläubig an. Es konnte einfach nicht sein. Sein Verhaltensmuster war nach außen
hin das gleiche wie bei jedem Todesfall: Er versuchte zu argumentieren, dass es
kein Mord gewesen war, versuchte, die Beweise zu entkräften, suchte nach
Ungereimtheiten. Doch seine Motivation war eine andere als sonst. Während er es
üblicherweise tat, um sich vor Arbeit zu drücken, argumentierte er diesmal aus
dem einfachen Grund, weil es nicht möglich war, was Dr. Tremmel ihm dort
erzählte.
    Er war bereit davon
auszugehen, dass es sich um Mord handelte. Er würde sowieso ermitteln und schuften
müssen wie ein Wahnsinniger, es ging hier schließlich um seinen Job. Aber zu
gewissenhaften Ermittlungen gehörte es nun mal, Erkenntnisse auch kritisch zu
hinterfragen, anstatt sie einfach so hinzunehmen.
    Ja, nach außen hin
musste es tatsächlich wie sein übliches Verhaltensmuster wirken, aber diesmal
diente es einer gewissenhaften Ermittlungsarbeit.
    Fakt war, dass eine
Leiche nicht ins Meer gekommen sein konnte. Die Frau musste lebendig in die
Ostsee gegangen sein. Nun galt es nur noch, das mit Dr. Tremmels Beobachtungen
in Einklang zu bringen. Wie waren das Blut und der Seetang in ihre Lunge
gekommen? Die Antwort war nicht schwer.
    „Was halten sie von
dieser Theorie”, begann Wegmann erneut. „Die Frau hat sich irgendwie an den
Patrouillen vorbeigeschlichen und ist ins Meer gegangen. Weil sie nackt war,
hat sie darauf geachtet, nicht bemerkt zu werden. Sie ist unter Wasser geraten
und hat ein großes Knäuel Seetang eingeatmet. Daran ist sie erstickt. Durch das
Ersticken sind Blutgefäße in ihrer Lunge geplatzt und nach und nach ist diese
dann voll Blut gelaufen. Ist doch alles ganz einfach.”
    Lars nickte
zustimmend. Die Theorie machte Sinn.
    „Nichts”, antwortete
Dr. Tremmel.
    „Was?”
    „Sie fragten, was ich
von dieser Theorie halte. Nichts. Um genau zu sein, kann ich sie sogar ausschließen.”
    „Und wie