Virus (German Edition)
‚Dorfkrugs’. Seine Gäste überschütteten
ihn mit Wettvorschlägen, sie zwängten ihm ihr Geld nachgerade auf. Er war ein
Genie, ein verdammtes Genie. Und er wusste es.
41.
Ohne Umwege fuhr
Wegmann von seinem konspirativen Treffen mit Driver im Wald zum Institut für
Rechtsmedizin der Universität Rostock. Er traf Dr. Tremmel an und nach einer
kurzen und geschickt geführten Unterhaltung hatte er herausgefunden, dass die
Kunde von der feindlichen Übernahme der Kripo Rostock durch das BKA noch nicht
bis hierhin durchgedrungen war. Tremmel hielt Wegmann noch immer für den
leitenden Ermittler. Umso besser. Bald würde er es sowieso wieder sein.
Wegmann ordnete an,
dass sämtliche Ergebnisse fortan direkt und ausschließlich an Herrn Stefan
Schneider, der im Hotel ‚Seeadler’ logierte, zu übermitteln seien. Schneider
sei ein externer Berater der Polizei und Spezialist auf dem Gebiet der
Interpretation von Obduktionsergebnissen.
Tremmel wandte ein,
er als Rechtsmediziner sei doch schon der Spezialist auf diesem Gebiet, aber
Wegmann bestand auf der externen Unterstützung. Er gab Tremmel die Telefon- und
Faxnummer von Schneider und auch seine Email-Adresse. Anschließend erkundigte
sich Wegmann noch kurz nach neuen Ergebnissen, doch es lagen noch keine vor.
Er verabschiedete
sich und machte sich mit dem erhebenden Gefühl, soeben den ersten Nagel in
Herforths Sarg geschlagen zu haben, auf den Weg zurück in die Polizeidirektion.
Vielleicht würde es doch noch sein Tag werden. Vielleicht würde ihm das Beige
in seinem Büro für den Rest des Tages sogar nicht mehr ganz so bieder
vorkommen.
42.
Holgers Reaktion auf
Hagens Flyer schien wie ein Weckruf auf Debbie gewirkt zu haben, denn während
er noch immer ungläubig das rote Papier anstarrte, erhob Debbie sich, griff
nach seiner Hand und zog ihn aus dem Restaurant. Langsam begannen seine
Gedanken wieder in geordneten Strukturen zu funktionieren.
Sie hatten keine
Zeit, wie in Schockstarre da zu sitzen, und zu warten, bis der Mörder kam, um
Debbie abzuholen. Sie mussten handeln. Sie mussten Trébor warnen und natürlich
auch zur Polizei gehen. Jetzt konnte man sie dort nicht mehr ignorieren. Nicht
mehr, nachdem sie die Systematik des Mörders entschlüsselt hatten.
Sie erkundigten sich
an der Rezeption nach Trébors Zimmernummer und wenige Augenblicke später
klopften sie an seine Tür. Keine Reaktion. Holger legte sein Ohr an die Tür,
doch von drinnen drang nicht der geringste Laut nach außen. Er hätte es nicht
beschwören können, doch er hatte geglaubt, noch vor ihrem Klopfen ein leises
Surren aus dem Zimmer gehört zu haben. Er musste sich geirrt haben. Es
herrschte Totenstille.
„Alle
wissenschaftlichen Vorträge sind für heute abgesagt worden”, sagte Debbie. „Er
wird den Tag nutzen, um sich Rostock oder Schwerin anzugucken.”
„Wenn er dazu noch vital
genug ist”, wandte Holger ein.
„Wenn nicht, können
wir daran auch nichts mehr ändern”, erwiderte Debbie und war schon wieder ein
paar Schritte den Flur hinunter. Holger folgte ihr, und er wusste, dass sie
Recht hatte. Auch wenn ihre Aussage vielleicht makaber geklungen haben mochte,
so war für übertriebene Pietät jetzt mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt.
Holger stellte fest, dass er Debbies direkte, praktisch und pragmatisch
denkende Art mochte, doch hierrüber nachzudenken war jetzt ebenso wenig der
geeignete Moment.
Er folgte ihr aus dem
Hotel.
„Hast du ein Auto?”
fragte sie ihn draußen.
Sie hasteten den Weg
durch die Dünen zu seiner Wohnung, wo sie in seinen uralten Golf II einstiegen.
Eine knappe halbe
Stunde später parkte Holger sein Auto so nahe es ging bei der Polizeidirektion
in Rostock. Debbie hatte ihn vor den Reporterscharen gewarnt, und da er sich in
Rostock ein wenig auskannte, hatte er schnell einen Parkplatz in der Nähe
gefunden.
Als sie sich der
Meute der Reporter näherten, dauerte es nicht lange, bis der erste von ihnen
Debbie als diejenige wiedererkannte, die am Vormittag den Disput mit Wegmann
geführt hatte, und innerhalb weniger Sekunden waren sie von Medienleuten so eng
umzingelt, dass es nur noch im Zeitlupentempo vorwärts ging.
Holger überlegte, ob
es eine Möglichkeit gab, die Medien zu instrumentalisieren, ob es von Nutzen
sein konnte, ihnen zu erzählen, was sie wussten – oder Teile davon. Doch er
konnte einfach keinen Vorteil sehen. Jedes Detail, das die Medien über die
Morde erfuhren, würde die Bühne vergrößern, die
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