Virus (German Edition)
gäbe da eine Möglichkeit”, sagte er in Gedanken versunken, „das
auszuschließen.”
„Und wie sähe die
aus?” erkundigte sich Wegmann.
„Aufgrund der
geringen Anhaltspunkte sind wir genau wie das BKA sehr auf die Ergebnisse der
Rechtsmedizin angewiesen”, antwortete Driver. „Bitten Sie diese, direkt und
ausschließlich an mich zu berichten. Sagen Sie denen, ich sei ein externer
Berater der Polizei und Spezialist für die Interpretation von Ergebnissen der
Rechtsmedizin. Einerseits erhalten wir auf diese Weise den Stand der
Ermittlungen schneller und können so effektiver arbeiten. Andererseits erhält
Ihre Chefin den Stand dann gar nicht mehr, was ebenfalls Ihre Chancen erhöht,
sie auszustechen.”
Es reichte aus, Wegmann
war überzeugt. Er ging zu seinem Wagen und holte eine Kopie der Ermittlungsakte
hervor, die er vorausschauend schon einmal mitgebracht hatte. Anschließend
verabschiedete er sich von seinem Mitverschwörer und fuhr zurück nach Rostock.
Ein Licht war am Horizont erschienen. Endlich. Seine Zeit war fast gekommen.
Fast.
40.
Hagen hatte sich
seine Geschichte sorgfältig zurechtgelegt und sie verfehlte ihre Wirkung nicht.
Seine Gäste hingen an seinen Lippen und immer wieder unterbrachen sie ihn mit
Fragen. Hagen konnte das nur Recht sein. Erstens zeugte es von ihrem Interesse,
und zweitens zogen die Zwischenfragen seine Geschichte in die Länge. So merkte
niemand, dass sie eigentlich doch relativ dünn war.
Seiner Aushilfe hatte
er die Außenbewirtschaftung übertragen, so dass er in aller Ruhe beim
Bierzapfen seinen Gästen an der Theke berichten konnte. Später dann, wenn diese
die Geschichte auswendig kannten, würde er die Bedienung der Biertische vor der
Kneipe übernehmen und seine Geschichte hier erzählen. Dort würde er sie noch
viel mehr in die Länge ziehen können, weil er immer nur kurze Abschnitte
erzählen konnte, während er bediente.
Befriedigt stellte er
fest, dass bereits jetzt ein reger Gedankenaustausch über seine Theorien zwischen
seinen Gästen stattfand. Sie diskutierten, hinterfragten und spannen weiter.
Hagen hatte seine
Geschichte mit der Ermordung Professor Samantha Dickinsons begonnen. Immerhin
hatte er auf seinem Flyer den Austausch über die G8-Morde, und nicht
über den G8-Mord angekündigt. Nachdem fast jeder seiner Gäste schon vom
Tod Meng Hongs gehört hatte, war ihre erste Frage naturgemäß die nach weiteren
Morden gewesen.
Zufrieden hatte Hagen
bejaht und nun erzählte er alles von Anfang an und er erzählte es ihnen zum
Gefallen. Er berichtete, ein geheimnisvoller Globalisierungsgegner stecke
hinter den Morden, der nicht mehr schweigend zusehen wolle, wie die G8 die Welt
regiert, sondern der medienwirksam ein Zeichen setzen wolle. Er habe
SARS-Forscher als Opfer ausgewählt, um zu zeigen, wie krank diese globalisierte
Welt des Neoliberalismus sei. Diese Botschaft habe er unterstützt durch den
ICD-Code ‚A87’, der auf Virushirnhautentzündung hindeutet. Eben deshalb habe der
Mörder auch Opfer aus Ländern ausgewählt, die bei der großen SARS-Epidemie von
2003 eine lokale Infektionskette hatten.
Allzu viele Fakten
waren es nicht, doch Hagen schmückte sie so geschickt mit detaillierten Erklärungen
zu ICD-Codes und lokalen Infektionsketten aus, dass sie seine Geschichte eine
Stunde lang trugen. Natürlich halfen ihm dabei auch die vielen Zwischenfragen
und hin und wieder entschuldigte sich Hagen kurz in die Küche, um die Spannung
im Schankraum weiter zu steigern.
Schließlich kam er
zum Ende seiner Geschichte und damit zu seinem genialsten Einfall: dem
Wettbüro. Er räumte seinen Gästen die Gelegenheit ein, auf alles zu setzen, was
mit den Morden zu tun hatte. Dann handelte er mit jedem eine faire Quote aus.
Man konnte darauf wetten, wer das nächste Opfer sein werde, aus welchem Land es
stammte oder welcher Profession es nachging. Man konnte darauf wetten, auf
welche Art und Weise es ermordet werden würde, wo der Mord stattfinden würde
oder wo man die Leiche finden würde. Man konnte darauf wetten, wer der Mörder
war, aus welchem Land er kam, welchem Geschlecht er angehörte oder wie alt er
war. Man konnte darauf wetten, wie viele weitere Morde es geben würde, wann der
nächste Mord stattfinden würde oder wann der letzte. Prinzipiell konnte man auf
alles wetten, was irgendwie mit dem Morden zu tun hatte, und für alles bekam
man von Hagen eine Quote.
Hagens Wettbüro war
die beste Idee in der Geschichte des
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