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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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war, war nicht das einzig Schockierende. Sie wusste, dass er die Liste
aus dem gleichen Grund ein zweites Mal durchsah, aus dem sie es getan hatte. Er
hoffte, weitere mögliche Opfer übersehen zu haben. Doch er würde außer Debbie
nicht mehr als eine weitere Person finden.
    Es war unumstößlich.
Es gab de facto bei diesem Gipfel nur noch zwei Wissenschaftler, die aus einem
Land stammten, in dem sich 2003 eine eigene SARS-Infektionskette gebildet
hatte. Einer davon war ihr kanadischer Kollege Marcel Trébor, die andere war
sie. Und bei der Geschwindigkeit, die der Mörder bislang an den Tag gelegt
hatte, konnte sie höchstens hoffen, noch genug Zeit zu haben, um die Kleidung
für ihre Beerdigung selber auszuwählen.
    –––––
    Holger wusste nicht
recht, was er sagen sollte. Natürlich war es sein Job als Pfarrer, in solchen
Momenten die richtigen Worte zu finden, doch ein guter Pfarrer war er seit zwei
Jahren nicht mehr gewesen. Sollte er Debbie Mut machen? Er war kein guter
Lügner. Sollte er sie vor ihrem Tod segnen? Das würde wohl höchstens dann Sinn
machen, wenn es einen Gott gäbe. Sollte er ihr die Wahrheit sagen, dass es
keinen Gott gab und sie einfach zu Staub zerfallen würde? Es wäre ihr
wahrscheinlich auch keine große Hilfe in dieser Situation.
    „Ich werde dir
helfen, Deborah”, sagte er einfach. Seine Stimme war leise und er gab sich die
größte Mühe, nicht zu leiern. „Zusammen finden wir den Mörder, bevor er dir
etwas antun kann.”
    Sie blickte ihn an
und lächelte gequält. War es ein dankbares Lächeln gewesen? War es ein halt-jetzt-besser-die-Schnauze
Lächeln gewesen? War es vielleicht sogar ein resignierendes, gleichgültiges
Lächeln gewesen? Er wusste es nicht und senkte verlegen den Blick. Dieser fiel
auf den roten Flyer, auf dessen Rückseite Holger sich bei Hagen Notizen gemacht
hatte. Er lag mit der Vorderseite nach oben auf dem Tisch. Bislang hatte Holger
dieser Seite nicht die geringste Beachtung geschenkt. Zum ersten Mal las er
nun, was dort stand, allerdings ohne es wirklich wahrzunehmen. Seine Augen
lasen die Wörter, doch sein Gehirn verarbeitete sie nicht.
    Plötzlich jedoch
sprang er auf, stieß seinen Stuhl dabei um und einen Schrei des Entsetzens aus,
als ihm gewahr wurde, was er da las. Fett prangte auf dem Flyer die Headline
     
    Die
offizielle Kneipe der G8-Morde
     
    Der kurze Text
darunter versprach Austausch mit Gleichgesinnten über die rätselhaften
Gipfelmorde und Informationen über den geheimnisvollen Globalisierungsgegner,
der bereit war, soweit zu gehen, um der Botschaft der autonomen Bewegung
Nachdruck zu verleihen.

39.
    Wegmann saß in seinem
Büro und wusste nicht recht, was er tun sollte. Den Fall lösen am besten. Aber
wie? Er konnte Ermittlungen leiten, das war kein Problem. Leuten sagen, was sie
tun sollten – nichts einfacher als das. Aber das durfte er nicht mehr. Herforth
würde im Dreieck springen, wenn sie herausfände, dass er hinter ihrem Rücken
delegierte. Doch auch einfach selber zu ermitteln, das zu tun, was er
normalerweise anderen aufgetragen hätte, traute er sich nicht recht. Im Moment
hielt er es für das Klügste, ausschließlich exakt das zu tun, was Herforth ihm
auftrug. Doch da gab es ein kleines Problem: Sie hatte ihm nichts Konkretes aufgetragen,
bevor sie in Richtung Petersdamm zu irgendeinem wichtigen Meeting aufgebrochen
war, dem eigentlich er hätte beiwohnen sollen.
    Seine Zeit würde
kommen. Bald schon würde sie kommen, das spürte Wegmann. Doch bis dahin war es
ratsam, nicht weiter mit dieser Amtsdiebin aneinander zu geraten.
    Sein Büro wirkte irgendwie
seltsam leer ohne die große Magnetwand. Ihr Entfernen hatte noch mehr biederes
Beige freigelegt und dem Raum eine Tristesse verliehen, die Wegmanns Stimmung
sehr präzise widerspiegelte.
    Dann klingelte das
Telefon. Wahrscheinlich Herforth mit einem neuen Botenjob, einem neuen kleinen
Detail, das abzuarbeiten für sie nicht wichtig genug war, mit einer neuen
Erniedrigung oder mit einem weiteren Himmelfahrtskommando zu den Globalisierungsgegnern.
    Seufzend nahm er ab.
Es war nicht Herforth. Der Mann am anderen Ende stellte sich als CIA-Agent
Devon Driver vor. CIA? Was wollten die Amerikaner von ihm? Driver kam schnell
auf den Punkt. Er wollte sich mit Wegmann treffen, um ihm ein Angebot zu
unterbreiten. Ein Angebot, das ihm einen entscheidenden Vorteil gegenüber
seiner neuen Chefin einbringen könne. Wegmann stutzte. Woher wusste der Mann
von seinen Problemen

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