Virus (German Edition)
Degradierung, seiner Subordination, seiner Ausbootung.
Denk an
morgen! redete er sich ein. Heute war Herforth noch Realität, doch bald
schon würde sie Vergangenheit sein. Dafür würde sein Deal mit der CIA schon
Sorge tragen. Wegmann klammerte sich an die Hoffnung auf eine bessere Zukunft,
um die Erniedrigungen der Gegenwart zu ertragen.
„Wo waren Sie,
Wegmann?” fragte Herforth streng und ohne Begrüßung.
„Eine Mittagspause
steht wohl selbst mir noch zu, oder?” gab er patzig zurück. Durchhalten. Bald
würde er sich das nicht mehr bieten lassen müssen.
Herforth ging weder
auf seine Antwort noch auf seinen Tonfall ein. „Wir haben den Journalisten
festgenommen, der das Foto im Kongresszentrum gemacht hat”, sagte sie
stattdessen. „Ich möchte, dass Sie sich um ihn kümmern, ich habe dafür keine
Zeit.”
Es war also mal wieder
soweit. Er durfte die niederen Arbeiten machen, während Herforth sich wichtigen
Dingen widmete. Er sollte sich mit einem Journalisten abgeben, während die
Amtsdiebin einen Mörder fing. Durchhalten. Denk an morgen! Lange konnte
es nicht mehr dauern, bis er wieder obenauf war.
Damit verließ
Herforth sein Büro wieder, ohne die geringste Abschiedsfloskel zu hinterlassen.
Erneut fragte sich Wegmann, ob sie überhaupt da gewesen war oder ob er sich das
alles nur eingebildet hatte.
Fünf Minuten später
saß er im Verhörzimmer einem hochgewachsenen, dürren Mann gegenüber, der nur
noch über einen schmalen, kurz gestutzten Haarkranz verfügte und eine Brille
mit nahezu kreisrunden Gläsern auf einer enormen Nase trug. Er mochte auf die
fünfzig zugehen, schwer zu schätzen. Seine Wangen waren eingefallen, doch seine
Augen blitzten und zeugten von einem wachen Geist.
Wegmann und er saßen
sich an einem quadratischen Holztisch gegenüber, nicht größer als ein
durchschnittlicher Bistro-Tisch. Außer einem Mikrofon zur Aufzeichnung des
Verhörs stand nichts auf dem Tisch. Der Raum war klein und fensterlos und seine
Wände waren in biederem Beige gestrichen. Hatte man hier überhaupt eine andere
Möglichkeit, als depressiv zu werden?
Ein uniformierter
Beamter reichte Wegmann den Personalausweis des Mannes. Jo Somniak,
siebenundvierzig Jahre alt. Das also war der Bastard, dem Wegmann die
Mediengeier vor der Tür zu verdanken hatte.
„Erzählen Sie mir von
dem Foto”, begann Wegmann. Er hatte keine Lust auf dieses Verhör und wollte es
schnell hinter sich bringen.
„Ich möchte meinen
Anwalt anrufen”, erwiderte Somniak.
So einer war das
also. Am einfachsten wäre es natürlich, ihm diesen Wunsch zu gewähren, doch
weiterbringen würde Wegmann das nicht. Musste er überhaupt weiterkommen? Er
würde doch sowieso bald wieder die Ermittlungen leiten. Aber nur, wenn er bis
dahin nicht längst suspendiert war. Nein, es war ratsam, im Moment noch zu tun,
was Herforth gefiel. Und es würde ihr bestimmt nicht gefallen, wenn ein Anruf
bei Somniaks Anwalt das einzige Resultat des Verhörs wäre.
„Aber, aber”, sagte
Wegmann besänftigend. „Ich möchte mich doch nur ein wenig mit Ihnen
unterhalten.”
„Und ich möchte mich
mit meinem Anwalt unterhalten”, gab Somniak zurück.
Wegmann ignorierte
seine Reaktion einfach. „Sie wussten, dass das Veröffentlichen von Bildern aus
dem Kongresszentrum verboten war?” fragte er stattdessen.
„Das Verbot ist
rechtswidrig. Es widerspricht der Pressefreiheit.”
„Es liegt wohl kaum
in Ihrem Ermessen, ob ein Verbot rechtswidrig ist oder nicht. Bei Ihnen liegt
es lediglich, sich an Verbote zu halten.”
„Ich möchte meinen
Anwalt anrufen.”
Entnervt stand
Wegmann auf und ging zweimal um den Tisch. Dieser Somniak war ein sturer Hund.
Er dachte daran, was Herforth wohl gerade tat. Spannende Mordermittlungen? Ein
Meeting mit dem Innenminister? Was auch immer sie tat, sie tat das, was
eigentlich sein Job war, während er sich hier mit diesem blöden kleinen
Journalisten herumschlug. Er hasste sie.
Denk an
morgen! Wegmann atmete tief durch. Er musste diese Sache zu Ende bringen,
so oder so. Er musste im Spiel bleiben, durfte nicht zulassen, dass Herforth
ihn auswechselte, ihn auf die Ersatzbank verbannte, bevor Drivers Ermittlungen
ihm von Nutzen sein konnten. Seufzend nahm er wieder Somniak gegenüber Platz.
„Ich will Ihnen ja
gar nichts Böses”, sagte er mit ruhiger Stimme. „Sie brauchen doch keinen
Anwalt. Wozu denn? Sie beantworten mir einfach ein paar Fragen und dann gehen
Sie wieder nach Hause.” Er machte
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