Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Demgegenüber ist das medizinische Einsatzpersonal besser vorbereitet. Eine empfindliche Schwachstelle sind allerdings die Medikamentenvorräte. Uns fehlen etwa fünfzehn Millionen Dosen des Antiviren-Medikaments Flutamil.“
Der Minister zuckte mit den Schultern.
„Lacroche hat versprochen, zu liefern. Das Zeug wird aber nur in einem einzigen Werk produziert.“ Er schütttelte unwillig den Kopf. „Und das ist in der Schweiz, so dass wir kaum Einfluß nehmen können. Außerdem haben alle anderen das gleiche Problem wie wir. Das kann also dauern. Niemand hat ausreichend Flutamil, außer den Schweizern. Und die wollen nichts abgeben.“
Er blickte in die Runde. Sein Blick blieb an Rosen hängen, der augenscheinlich nach Aufmerksamkeit verlangte, indem er das Gesicht verzog und mit den Augen rollte.
„Bei ihnen was neues, Rosen?“
„Ja,“ antwortete dieser, sichtlich stolz darüber, in dieser Runde zu sprechen.
„Ein englisches Labor hat 2,3-alpha-Proteine in den inneren Lungenbläschen des Menschen nachgewiesen. Das sind die Rezeptoren, an die das Vogelgrippevirus andockt. Wir wissen jetzt also, wie die Übertragung auf den Menschen funktioniert. Das wäre eigentlich ein Grund zur Freude. Aber die Wissenschaftler haben noch etwas herausgefunden. Das Virus ist damit nur noch zwei Mutationen von der Übertragung Mensch-zu-Mensch entfernt.“
Der Minister blickte zu Lohmann.
„Was sagen ihre Statistiker?“
„Wir arbeiten daran.“
Dann wandte er sich an Krentler.
„Verschieben wir das also, bis Ihre Ergebnisse vorliegen. Sorgen macht mir der Vorfall in Mannheim. Die Sperrzone ist eingerichtet, das Geflügel ist im Stall. Und wenn nicht, dann sind die Keulkommandos einsatzbereit. Abgesehen davon, dass wir ihrer Meinung nach das gesamte Geflügel vorsorglich töten sollen: Haben sie dazu noch etwas anzumerken, Doktor Krentler?“
Krentler bemerkte die Spitze und stellte erstaunt fest, dass ihn diese verspätete Reaktion auf seinen kleinen Angriff in der letzten Sitzung befriedigte. Angesichts unnötiger Maßnahmen wie dem Einsatzt von Jagdflugzeugen, die nur Panik schürten, aber rein gar nichts nützten, hatte er sich im Recht gefühlt. Er fühlte sich immer noch im Recht.
„Ja. Ich denke, man sollte so schnell wie möglich die Lohnforderungen der Müllabfuhr erfüllen.“
Das Gesicht des Ministers erstarrte. Krentler genoß den Anblick, die Wirkung seiner Worte. Die Mischung aus rätselhaften Vorschlägen und wissenschaftlicher Autorität blieb für ihn unübertroffen.
„Der Streik der Müllabfuhr schafft paradiesische Zustände für alle Arten von Krankheitserregern und ihre Überträger wie Ratten und Vögel. Seit fünf Wochen vergammelt der Müll in den Hinterhöfen. Den sollte man abtransportieren, bevor es taut. Ansonsten wirkt der Gestank auf die Vögel im Umland wie auf sie der Duft von Bratwurst und Bier in der Steinwüste.“
„Sie wissen, dass das nicht so einfach ist“, antwortete der Minister mit besorgter Stimme. „Wir haben bereits private Firmen beauftragt, in der Sperrzone rund um den Fundort den Müll wegzuräumen. Aber die Gewerkschaft steigt uns aufs Dach, wenn wir das jetzt ausweiten.“
Krentler zuckte mit den Schultern.
„Ich überlege mir, was die sinnvollsten Maßnahmen zur Verringerung der Ansteckungsgefahr sind. Die politischen Entscheidungen treffen sie. Wenn die Müllberge nicht weggeräumt werden, sollten wir die Beobachtung verstärken.“
Meier war während des Gesprächs langsam rot angelaufen, jetzt platzte er heraus.
„Das habe ich längst veranlasst. Meinen sie denn wir schlafen, Doktor Krentler? Wir tun unser Bestes.“ Und an den Minister gewandt: „Wir haben alles im Griff.“
Krentler zuckte erneut mit den Schultern. Er wußte, dass er hier nichts zu entscheiden hatte. Warum hatte der Minister ihn in den Krisenstab berufen, wenn er die verantwortungsvollen Aufgaben Leuten wie Meier überließ, die für ihre korrekten Ergebnisse auch mal die Fakten verdrehten? Entweder, man beschloss, sich auf den Verlust von Geflügel vorzubereiten, oder auf eine Übertragung des Virus auf den Menschen. Diese zweite Entscheidung, die jeden Morgen erneut in den lauten Schlagzeilen aus den Zeitungsständen der Kioske dröhnte, hätte zu weit radikaleren Maßnahmen führen müssen als zum Einsatz von Jagdfliegern der Armee zum Aufspüren einiger toter Vögel. Außerdem schadeten diese Propagandabomber mehr als sie nützten. Kampfflugzeuge gegen Schwäne. Deutlicher konnte man seine
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