Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Pressekonferenz. Die Boulevardblätter hatten bereits Sonderausgaben gedruckt und ausgeliefert. Woher sie die Informationen hatten, blieb unklar. Wo kein Radio lief und kein Fernseher flimmerte, lagen sie auf dem Pausentisch oder in der Kantine. „Wer kann uns jetzt noch retten?“ lautete eine Schlagzeile. Hinterlegt war sie mit einem Bild, das händeringende Menschen auf Rügen zeigte. Eine andere Schlagzeile lautete einfach „Die Todesgrippe ist da“. Das Bild zeigte ein großes Holzkreuz vor einer unheilverkündenden Wolkenwand. Auf dem Kreuz saß ein dicker, schwarzer Rabe.
In ihren Mittagspausen lasen, hörten und sahen die Menschen die Nachrichten. Bis auf eine junge Moderatorin des Lokalfernsehens, deren Gesichtsausdrücke beim Vorlesen der Nachricht zunehmend entgleisten, blieben die Nachrichtensprecher gelassen. Der Minister wurde mit den Worten zitiert, bisher handle es sich um Einzelfälle, die Lage sei dennoch ernst. Man sei auf alles vorbereitet.
Die Menschen hörten die vorsichtigen Worte des Ministers. Ohne Nachzudenken erkannten sie darin die Drohung der Katastrophe.
Nach einem kurzen Moment des Unglaubens und einem kollektiven Aufschrei verstummte die Stadt.
Fünf Minuten nach zwölf bewegten sich die Autos, die Menschen, die Züge, Flugzeuge immer langsamer.
Es wurde still.
Dann implodierte das System.
*
Als erstes brachen die Telefonnetze zusammen. Nahezu synchron hatten die Menschen ihre Telefone in die Hand genommen und wählten. Drähte und Antennen liefen heiß. Die Leitungstemperatur näherte sich dem Schmelzpunkt. Als zeitgleich hunderttausende Verbindungen zustande kamen, verdampften die Sicherungen. Das anschwellende Geschnatter und Geheule der Menschen an den Festnetz- und Mobiltelefonen wurde abgeschnitten.
Kurz darauf kam der Verkehr zum Erliegen. Auf den großen Achsen der Stadt stauten sich die Autos auf allen Spuren. Um die Siegessäule herum ereigneten sich mehrere Unfälle, als einige Autos versuchten, mit hoher Geschwindigkeit über die Gehwege zu entkommen und mit anderen plötzlich ausscherenden Autos zusammenprallten. Ähnliches geschah an den anderen Verkehrsknotenpunkten. Bald stand alles still. Nichts rührte sich mehr.
Die Taxifahrer fingen zuerst an zu hupen. Die anderen Autos stimmten ein, bis sich der Lärm zu einem vielstimmigen Jammerschrei steigerte, der sich verzweifelt über die Stadt erhob. Aber dort gab es niemanden, der ihn gehört hätte.
Immer mehr Menschen ließen ihr Auto stehen und gingen zu Fuß. Eine riesige Masse von Fußgängern strömte aus der Stadt hinaus in Richtung der Vororte. Wenige liefen ins Zentrum.
Dennoch sammelte sich nach und nach eine ansehnliche Menschenmenge auf dem großen Platz zwischen Reichstag und Kanzleramt. Als würden sie die Sicherheit jetzt an den Orten suchen, an denen sie so oft versprochen worden war. Aber statt von vertrauenserweckenden Herren, die mit warmem Blick von den Ängsten der Bürger und ihrem Bedürfnis nach Sicherheit sprachen, wurden wie von Polizisten empfangen, die in Windeseile Absperrgitter rund um Reichstag und Kanzleramt aufbauten und sich in zwei geschlossenen Reihen dahinter postierten. Die Polizisten trugen Kampfmontur, Helme und Schlagstöcke. Die Visiere waren noch aufgeklappt.
*
In den Wartehallen der Flughäfen drängelten sich die Passagiere. Noch während der Pressekonferenz hatten die großen internationalen Flughäfen ein Landeverbot für alle in Berlin gestarteten Flüge erlassen. Flugzeugen, die sich bereits auf halbem Weg befanden, wurde eine Auffüllung der Tanks für den sofortigen Rückflug gestattet. Niemand durfte aussteigen.
Notgedrungen hatten die Fluglinien deshalb, nach Rücksprache mit ihren Versicherern, alle Flüge bis auf weiteres gecancelt. Dennoch harrten die meisten Passagiere in den Wartehallen aus. Rasend schnell hatte sich das Gerücht verbreitet, irgendwo habe es einen terroristischen Anschlag gegeben und die Flüge seien nur zum Schein gecancelt. Innerhalb weniger Stunden würde der Flugbetrieb weiter laufen. Allen offiziellen Nachrichten und Aufrufen zum Trotz hielt sich das Gerücht hartnäckig. Manche sprachen von einer neuen, radikalen Strategie der konternden Öffentlichkeitsarbeit, die nach den Ereignissen vom 11. September 2001 entwickelt worden sei. Man betrachtete die Dementis als Zeichen für den erfolgreichen Einsatz einer perfekten Medienmaschinerie der offiziellen und inoffiziellen Regierungsstellen. Wo der Anschlag statt gefunden habe, konnte niemand
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