Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
dem Bett lag ebenfalls ein zugedeckter Leichnam. Der Pfleger trug einen Mundschutz. Krentler sprach ihn an, um nach dem Weg zu fragen, aber der Pfleger würdigte ihn keines Blickes und verschwand durch die große Eingangstür. Zurück blieb ein leichter Duft von Desinfektionsmittel, Formalin und einsetzender Verwesung.
Hinter einer Zwischentür fand er die richtige Abteilung. Die diensthabende Aufsicht murrte, als Krentler nach der Akte von Kalle Kortens fragte. Sie trug die blonden Haare in einem strengen Zopf und musterte Krentler mit prüfendem Blick. Er zeigte ihr seinen Ausweis. Auf ihrem Schreibtisch lag ein Buch. Virologie leicht gemacht, lautete der Titel. Krentler lächelte. Mürrisch blätterte sie im Verzeichnis für die Neuzugänge.
„Die Akte liegt zur Vorlage im Vivisektionsraum.“
„Könnten sie mir dann bitte auch gleich den Leichnam zeigen?“ bat Krentler.
Ohne seine Frage zu beachten nahm sie einen Schlüssel aus der Schreibtischschublade und stand auf. Sie war einen Kopf größer als er und bedeutete ihm mit einer herablassenden Handbewegung, ihr zu folgen.
Nachdem sie ein Stück den Hauptgang entlang gelaufen waren, schloss die Schwester eine stählerne Tür auf. Ein Schwall kühler Luft kam ihnen entgegen. Sie traten ein. Aus einem Spender nestelte die Schwester einen Mundschutz, reichte ihn Krentler und legte sich selbst auch einen an.
Die Längswände des Raumes bestanden aus mehreren Reihen großer Fächer, in denen die Leichen gelagert wurden. In der Mitte stand ein leerer Seziertisch. Neben der Tür standen mehrere Transportwagen. Am Ende der Fächerreihen war eine große Temperaturanzeige in die Wand eingelassen. Daneben befand sich in einem Kasten die Steuerungseinheit. Eigentlich war der ganze Raum nur ein großer Kühlschrank.
Die Schwester ging suchend an den Fächern entlang. Krentler folgte ihr. Bei Nummer 332-H5 blieb sie stehen. Sie öffnete die Tür und zog das Bett mit Schwung heraus. Es war leer. Nur ein grünes Tuch lag zerknittert auf der Edelstahlablage. Krentler sah die Schwester fragend an. Sie zuckte mit den Schultern.
„Tja, da war wohl jemand schneller als wir.“ sagte sie. „Und die Akte fehlt auch.“ Sie deutete auf ein leeres Fach an der Seite der Schublade.
„Was meinen sie damit: schneller als wir?“ fragte Krentler.
„Das war ein Witz.“ antwortete sie schroff. „Die Leiche ist weg. Dabei habe ich sie gestern abend persönlich hier abgelegt.“
„Und wo ist sie?“
„Keine Ahnung. Muss ich erst nachsehen.“
Sie gingen zurück in den Büroraum.
Krentler klopfte ungeduldig mit den Fingerknöcheln auf die Schreibtischkante, während die Schwester im Computer nach der Akte suchte.
„Der Leichnam wurde heute früh hier abgeholt.“ sagte sie.
„Von wem?“
„Von den Kollegen vom Militärkrankenhaus. Zuständiger Arzt: Doktor Rosen, steht hier.“
„Rosen?“ fragte Krentler ungläubig. „Was will der denn mit der kompletten Leiche?“
„Soll ich bei den Kollegen mal nachfragen?“ fragte die Schwester.
„Nein, danke.“ antwortete Krentler. „Machen sie sich keine Mühe. Sie haben mir sehr geholfen. Vielen Dank.“ Er deutete eine Verbeugung an und ging zur Tür. Die Hand schon auf der Klinke, drehte er sich nochmal um.
„Als der Leichnam eingeliefert wurde, hatte er da noch Haare auf dem Kopf?“ fragte er die Schwester.
„Oh ja“, antwortete sie, „Ziemlich dicke Zotteln. Wir mussten sie mit dem Skalpell durchschneiden. Sie waren zu dick für die Schere. Warum?“
„Nur so“, sagte Krentler und verließ den Raum.
36
Vor dem Reichstag wuchs die Menge. Aus allen Richtungen kamen Menschen. Sie flossen über die großen Prachtstraßen, durch das Brandenburger Tor, tröpfelten aus den kleinen Seitenstraßen, fanden ihren Weg durch den Tiergarten. Auf dem großen Platz vor dem Reichstagsgebäude standen sie in kleinen Gruppen zusammen. Aus dem Murmeln, dem Schulterzucken und den fragenden Gesichtern sprach eine allgemeine Ratlosigkeit. Niemand wusste Genaueres. Und nur die wenigsten wussten, warum sie überhaupt hierher gekommen waren.
Die Polizei hatte indes die Schutzringe um den Reichstag und die umliegenden Regierungsgebäude verstärkt. Man wollte auf alles vorbereitet sein.
Hinter den Absperrgittern standen in regelmäßigen Abständen Wasserwerfer. Durch die offenen Kofferraumklappen der Einsatzfahrzeuge waren die Plastikschilde und die Knüppel für die Aufstandsbekämpfung zu sehen.
Einige Einheiten waren in schwarze Uniformen
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