Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
kommt meine Mami?“
„Das weiß ich nicht. Hast du noch nicht mit ihr gesprochen?“ fragte Krentler verwundert.
„Sie hat gesagt, sie darf noch nicht kommen. Warum darf sie noch nicht kommen?“
„Wir möchten dich noch eine Weile beobachten, Marie. Du warst sehr krank, und wir wollen nicht, dass sich deine Mami oder jemand anderes ansteckt.“ Krentler war an ihr Bett getreten und schaute sie an. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Wahrscheinlich vom Weinen, dachte Krentler. Aber sie hatte es geschafft. Sie hatte die Krankheit überlebt. Sie barg den Hoffnungsschimmer nach diesen wüsten Tagen und angesichts der drohenden Gefahr, die sie zu bannen suchten. Und die dennoch so viele Menschenleben fordern würde. Marie riss ihn aus seinen Gedanken.
„Kannst du bitte das Fenster aufmachen?“
Krentler ging zum Fenster und öffnete es. Der Himmel war noch immer von einer unstrukturierten Wolkenschicht bedeckt, die ein diffuses Licht verbreitete. Der Regen hatte aufgehört.
Krentler blickte über die Stadt. Von hier oben sah alles etwas kleiner aus. Die gestapelten Autowracks an den Straßenrändern, die Räumfahrzeuge. Krentler sah nach unten. Erst jetzt erkannte er, dass die große Straße, die am Krankenhausgebäude vorbei führte, von einer Menschenmenge bedeckt war. Es mussten Tausende sein, die da standen und auf etwas zu warten schienen. Nur auf was? An der Straßenecke standen die Räumpanzer still. Vor dem Haupteingang erkannte Krentler eine Reihe Polizisten, die eilig eine Reihe Absperrgitter errichtete. Außer dem Klappern der Metallgitter war nichts zu hören.
Dann erscholl ein einzelner Ruf. Erst einmal, dann noch einmal. Eine zweite Stimme wiederholte den Ruf, dann eine dritte. Weitere fielen ein. Von einem ersten Murmeln steigerte sich der Ruf zu einem rhythmischen Skandieren der Parole. Immer mehr Menschen fielen mit ein, und erst jetzt konnte Krentler verstehen, was sie riefen.
„Wir wollen Flutamil. Wir wollen Flutamil. Wir wollen Flutamil. Wir wollen Flutamil.“
Ein kalter Schauer fuhr im über den Rücken. War es schon so weit, dass sie Krankenhäuser stürmten?
Sein Telefon klingelte. Schickelbach war am anderen Ende. Seine Stimme war nur schlecht zu verstehen, irgendetwas machte im Hintergrund fürchterlichen Lärm.
„Herr Krentler, Schickelbach hier. Vielleicht haben sie mitbekommen, dass sich die Berliner Krankenhäuser im Belagerungszustand befinden. Die Charité ist auch betroffen.“
„Ich sehe es.“ sagte Krentler.
„Gut. Gehen sie aufs Dach. Der Huschrauber ist in fünf Minuten da.“ Dann war die Leitung tot. Schickelbach hatte aufgelegt.
Krentler drehte sich zu Marie. Er wollte irgendetwas sagen, um das Mädchen zu trösten, das da mit verweinten Augen vor ihm im Bett saß. Aber ihm fiel nichts ein. Er ging zu ihr und nahm ihre Hände in seine. Hilflos blickte er sie an. Als sie den Druck seiner Hände erwiderte, spürte er, wie eine tiefe Rührung in ihm aufstieg. Dieses Mädchen hatte überlebt, genau wie er. Ob Gott es gewollt hatte oder der Zufall einer Anomalie im System, war egal. Er drückte ein letztes Mal Maries kleine Hände. Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer.
*
Es dauerte eine Weile, bis Krentler den Ausgang zum Dach fand. Er hatte erwartet, einen Hubschrauberlandeplatz zu finden, mit ordentlicher Beschilderung. Statt dessen sah es hier oben aus wie auf einem Schauplatz für die Showdown-Szene in einem Thriller aus den achtziger Jahren.
Suchend blickte Krentler sich um. Das Dach war mit Schornsteinen, Antennen und Messstationen übersät. Wie sollte ein Hubschrauber hier landen? Weit und breit waren keine Markierungszeichen zu sehen. Krentler lief ein paar Schritte, stellte sich auf eine kleine Erhöhung im Dach. Aber auch von dort aus konnte er nichts erkennen, was auf eine Landemöglichkeit hingedeutet hätte.
Schräg über ihm ertönte das Knattern des Hubschraubers. Vor dem grauen Himmel konnte Krentler ihn als schwarzen Punkt ausmachen. Das Geräusch wurde lauter, der Hubschrauber näherte sich schnell. Er flog zweimal über das Gebäude hinweg und hielt dann in größerer Höhe. Wie ein riesiges Ungetüm schwebte der Hubschrauber über dem Dach. Dann fing er an zu stürzen. Wie ein riesiges Projektil raste er auf das Gebäude zu. Der Lärm der Rotoren wurde ohrenbetäubend. Zwanzig Meter über dem Dach fing der Pilot den Hubschrauber hart auf. Wie gefroren hing er über dem Gebäude in der Luft.
Die Seitentür öffnete sich. Krentler sah, wie
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