Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
hinten schoss und laut scheppernd gegen den Edelstahltisch prallte, der in der Mitte des Raumes stand. Rosen sprach laut in ein kleines Diktiergerät.
„Nach eingehenden Untersuchungen des Kommunikationsverhaltens der gezüchteten Virenstämme bin ich zu dem Schluß gekommen: Wir haben einen Fehler gemacht. Wir haben Regelmäßigkeiten gesucht und auch gefunden, vor allem auf Ebene der Gensequenz und der spontanen Mutationen. Wir sind inzwischen sogar in der Lage, einzelne Informationsbruchstücke zu verstehen. Aber: Die Viren haben nicht auf unsere Zeichen reagiert. Und da liegt unser Fehler.“
Rosen ließ das Diktiergerät sinken.
Krentler nickte befriedigt. So siegte die Vernunft. Hypothese, Prüfung, Falsifikation. Er wollte schon beifällig gegen die Scheibe klopfen, als Rosen das Diktiergerät wieder hob.
„Der Fehler war, dass wir Zeichensequenzen gesucht haben, die wir interpretieren konnten, und dass wir Zeichen angeboten haben. Es geht aber nicht um Zeichen. Die Kommunikation findet auf einer anderen Ebene statt. Und nur dort können wir mit den Viren kommunizieren. Sie findet auf Ebene der Gensubstanz statt. Nicht der Gene als Information. Sondern der Gene als Substanz. Die Viren kommunizieren durch Rekombination. Aber eine Rekombination der Zeichen geht nicht ohne eine Rekombination der Substanz. Ich sehe deshalb nur noch eine Möglichkeit.“
Mit der linken Hand fuhr Rosen sich fahrig über die Stirn.
„Ich habe fünf Viren aus fünf verschiedenen H5N1/Asia-Stämmen isoliert. Sie wurden mit Hilfe meiner DNS-Substanz genetisch vorbereitet. Auf Ebene der Zeichen war ich nicht erfolgreich. Jetzt versuche ich es auf Ebene der Substanz. Ich werde mit ihnen verschmelzen.“
Er schaltete das Diktiergerät aus und legte es auf den Obduktionstisch. Krentler stand wie erstarrt angesichts dieser Szene, die sich hinter dem Schutzglas abspielte. Rosen trat zum Mikroskopiertisch. In seinen Augen glomm der Wahnsinn.
„Endlich werden wir uns begegnen.“ murmelte er. Dann griff er sich mit beiden Händen an die Brust und zerriss das dünne Plastik des Schutzanzugs. Er zog den oberen Teil über den Kopf und ließ ihn auf den Boden fallen. Mit der rechten Hand ergriff er eine Spritze, die neben dem Mikroskop in einer Kühlbox lag. Krentler wollte schreien, aber seine Kehle war wie eingetrocknet.
Die Spritze, die Rosen in der Hand hielt, war riesig. Er atmete schwer. Langsam hob er den rechten Arm, bis sich die Spritze auf der Höhe seines Kopfes befand. Die Nadel schwebte direkt vor seinem Ohr. Sein Atem wurde schneller. Seine Hand zitterte. Mit einem Ruck stieß er sich die Spritze bis zum Anschlag in den Kopf.
Krentler brach ohnmächtig zusammen.
47
Das Klingeln eines Telefons drang schmerzhaft durch den Schleier seiner Ohnmacht. Es war so laut, als befände sich die Schallquelle in seinem Kopf. Krentler öffnete die Augen. Vor ihm lag sein Mobiltelefon. Es klingelte und vibrierte und stieß dabei sanft gegen seinen Kopf. Krentler setzte sich auf. Dann ging er ran. Li war am Apparat.
„Was machen die Daten?“ fragte sie.
„Wie bitte?“ Krentler verstand nicht, was sie meinte.
„Die geheimen Daten. Die Gensequenzen, die wir suchen. Hast du sie gefunden? Wir sitzen hier auf glühenden Kohlen. Es gibt weitere Todesfälle.“
„Er hat sich einfach umgebracht.“ unterbrach Krentler sie.
„Wer?“
„Rosen.“
„Was heißt das, ‘hat sich umgebracht’?“
„Er hat sich eine Spritze in den Kopf gejagt.“
„Krentler, bitte dreh jetzt nicht durch, ja?“ sagte Li mit eindringlicher Stimme.
Er schwieg.
„Krentler?“ Lis Stimme klang besorgt.
„Mit mir ist alles in Ordnung.“ antwortete Krentler. „Ich melde mich, sobald ich etwas herausgefunden habe.“
Er legte auf, steckte das Telefon in die Tasche und stand auf.
Er musste sich zwingen, durch die Scheibe zu blicken. Rosen lag mit seltsam verdrehten Gliedern vor dem Obduktionstisch. In seinem Kopf steckte die Spritze. Aus seinem Mundwinkel sickerte Blut. Es sieht erstaunlich sauber aus, dachte Krentler. Dann wandte er sich ab.
Der Computer im Vorraum lief bereits. Seine Hand zitterte, als er die Maus bewegte, um den Bildschirmschoner auszuschalten. Auf dem Monitor erschien ein verschwommenes Bild. Als Krentler genauer hinsah, erkannte er, dass es aus Myriaden verschiedener Punkte und ihren Verbindungen zusammengesetzt war. In der Titelleiste stand communications structure of h5n1-variety aiX. Mit der Maus klickte Krentler auf den Vergrößerungsknopf.
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