Virus
»Sagen Sie nichts weiter! Ich gehe selbst hin und spreche mit ihr!«
Marissas Puls raste. Das war Dubchek! Gehetzt blickte sie sich im Raum um, als ob sie sich irgendwo verstecken wolle. Sie dachte daran, die Schwester nach einem zweiten Ausgang zu fragen, aber ihr war klar, daß das lächerlich klingen würde, und außerdem war es ohnehin zu spät – sie konnte schon die Schritte auf dem Gang hören.
Cyrill kam hereingeschossen, an der Schutzbrille nestelnd.
»Marie?« fragt er.
»Ja«, antwortete die Krankenschwester.
Marissa wandte sich zur Tür, Dubchek packte sie am Arm, und ein Schauer überlief sie. Es war doch lächerlich – ein derartiger Auftritt in Gegenwart eines sterbenden Mannes. Sie war im Hinblick auf Dubcheks Reaktion auf das Schlimmste gefaßt, denn es war ihr klar, gegen wie viele Regeln sie wahrscheinlich verstoßen hatte. Doch zugleich war sie auch wütend, weil sie gezwungen worden war, diese Regeln zu brechen.
»Was zum Teufel tun Sie hier? Was bilden Sie sicheigentlich ein?« fauchte er sie an und hielt sie weiterhin am Arm gepackt.
»Nehmen Sie doch bitte Rücksicht auf den Patienten, wenn schon auf sonst niemanden!« sagte Marissa, riß sich los und verließ das Zimmer. Dubchek folgte ihr auf dem Fuß. Draußen zog sie die Schutzbrille, den zweiten Umhang, den Ärztekittel und schließlich die Handschuhe aus und warf alles in den dafür bestimmten Behälter; Dubchek tat das gleiche.
»Betreiben Sie die Mißachtung von Vorschriften jetzt hauptberuflich?« fragte er und konnte seine Wut kaum beherrschen. »Ist das denn alles eine Art von Spiel für Sie?«
»Ich möchte darüber jetzt lieber nicht reden«, gab Marissa zurück. Es war klar, daß es völlig aussichtslos war, mit Dubchek jetzt irgendwie sachlich zu diskutieren. Sie ging auf den Aufzug zu.
»Was soll denn das heißen, daß Sie darüber jetzt lieber nicht reden wollen?« brüllte Dubchek. »Was glauben Sie denn, wer Sie sind?«
Er packte Marissa wieder am Arm und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Ich meine, wir sollten warten, bis Sie etwas weniger erregt sind«, vermochte Marissa so ruhig wie nur irgend möglich zu sagen.
Dubchek ging in die Luft. »Erregt? Meine liebe junge Dame, gleich morgen früh werde ich Dr. Morrison anrufen und veranlassen, daß an die Stelle Ihres derzeitigen Urlaubs eine zwangsweise Beurlaubung tritt. Wenn er sich weigert, werde ich eine formelle Anhörung beantragen.«
»Das geht von meiner Seite aus in Ordnung«, konnte Marissa mit mühsam bewahrter Fassung antworten. »Es stimmt irgend etwas mit diesen Ebola-Ausbrüchen nicht, und ich habe den Eindruck, daß Sie das nicht wahrhaben wollen. Vielleicht ist die formelle Anhörung genau das, was not tut.«
»Hauen Sie ab hier, bevor ich Sie rausschmeißen lasse!« fauchte Dubchek.
»Aber gerne«, antwortete Marissa.
*
Als sie das Krankenhaus verließ, spürte Marissa, daß sie zitterte. Sie haßte Auseinandersetzungen, und ein weiteres Mal war sie hin- und hergerissen zwischen ehrlicher Wut und schuldbewußter Beschämung. Sie war sich sicher, daß sie ganz nahe am wirklichen Grund für diese Ausbrüche der Krankheit war, aber noch konnte sie ihren Verdacht nicht eindeutig formulieren – nicht einmal so, daß sie das selbst zufriedengestellt hätte, geschweige denn andere.
Marissa versuchte, das alles noch einmal klar zu durchdenken, während sie auf dem Weg zum Flugplatz war, aber das einzige, an das sie denken konnte, war der häßliche Auftritt mit Dubchek. Sie konnte die Gedanken daran einfach nicht verdrängen. Es war ihr natürlich vollkommen klar, daß sie ein großes Risiko auf sich genommen hatte, als sie die Berson-Klinik ohne jede Vollmacht dafür, ja im Grunde genommen gegen ein ausdrückliches Verbot betreten hatte. Cyrill hatte allen Grund, wütend zu sein. Aber sie hätte sich einfach gewünscht, mit ihm über die merkwürdige Tatsache reden zu können, daß jeder der Ersterkrankten überfallen worden war, und zwar unmittelbar vor seiner Erkrankung.
Während sie auf ihr Flugzeug nach Atlanta wartete, ging Marissa zu einem Münzfernsprecher, um Ralph anzurufen. Er meldete sich sofort und sagte ihr, daß er sich solche Sorgen um sie gemacht hatte, daß er zu ihrem Haus gefahren war, als sie sich am Telefon nicht meldete. Er fragte, wo sie denn überhaupt gesteckt hätte, und meinte, es sei nicht nett von ihr gewesen, die Stadt zu verlassen, ohne ihm Bescheid zu sagen.
»In Washington zuerst, und jetzt in
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