Virus
vielleicht etwas außerhalb der Stadt liegen könnte. Sie mußte sich wohl danach erkundigen, aber wen könnte sie hier danach fragen? Sie hatte nicht die geringste Lust, zur örtlichen Polizeistelle zu fahren!
Am Ende der Hauptstraße kehrte Marissa um und fuhr wieder zurück. Sie entdeckte einen Gemischtwarenladen,an dem ein Schild darauf verwies, daß er auch die Poststelle enthielt.
»Professional Labs? Ja, die sind draußen an der Bridge Road«, sagte der Inhaber. Sie hatte ihn in der Kurzwarenabteilung gefunden, wo er gerade einer Kundin Wollknäuel vorlegte. »Fahren Sie da gerade hinunter und biegen Sie dann am Feuerwehrhaus rechts ab. Hinter Parsons Creek biegen Sie dann wieder links ab. Sie können es nicht verfehlen. Das ist das einzige, was Sie dort draußen außer Kühen finden.«
»Was machen die denn?« fragte Marissa.
»Keine Ahnung«, antwortete der Ladeninhaber. »Ist mir auch völlig Wurst. Sie sind gute Kunden, und sie zahlen ihre Rechnungen pünktlich; mehr interessiert mich nicht.«
Den Anweisungen des Mannes folgend, fuhr Marissa aus der Stadt hinaus. Er hatte völlig recht gehabt – außer Kühen gab’s nichts zu sehen. Hinter Parsons Creek war die Straße nicht einmal mehr geteert. Marissa begann sich schon zu fragen, ob sie sich hier nicht auf ein ganz sinnloses Unterfangen eingelassen hatte. Aber dann bog der Weg in ein Kiefernwäldchen ein, und an seinem Ende sah Marissa ein Gebäude aufragen.
Marissa hörte am Fahrgeräusch, daß sie nun wieder Asphalt unter den Rädern hatte; der Weg erweiterte sich zu einem geteerten Parkplatz. Zwei Fahrzeuge standen dort: ein Lieferwagen mit der seitlichen Aufschrift »Professional Labs Inc.« und ein cremefarbener Mercedes.
Marissa parkte neben dem Lieferwagen. Das Gebäude hatte Firstdächer und eine Menge von Spiegelglasfenster, in denen die attraktive baumbestandene Umgebung sich widerspiegelte. Es roch köstlich nach Kiefern, als Marissa auf den Eingang zuging. Sie wollte die Tür aufstoßen, doch die rührte sich nicht. Dann zog sie daran, aber auch das führte zu nichts – sie schien verriegelt oder abgeschlossen zu sein. Sie trat einen Schritt zurück und suchte nach einer Klingel, doch auch eine solche fand sie nicht. Sie klopfte ein paarmal,merkte aber dann, daß das wohl nicht laut genug war, als daß es jemand im Innern des Gebäudes hören konnte. Marissa gab also ihre Bemühungen um den Vordereingang auf und ging um das Gebäude herum. Als sie am ersten Fenster angelangt war, legte sie die Hände um die Augen und versuchte, durch die Spiegelglasscheiben ins Innere zu blicken; aber es war vergeblich.
»Wissen Sie, daß Sie hier unbefugt eindringen?« fragte eine unfreundliche Stimme.
Marissa ließ schuldbewußt die Arme baumeln.
»Das ist Privatbesitz«, sagte ein stämmiger Mann mittleren Alters, gekleidet in einen blauen Overall.
»Hmmm …« druckste Marissa herum und suchte verzweifelt nach einer Begründung für ihre Anwesenheit. Mit seinem ergrauenden Bürstenschnitt und der lebhaften Gesichtsfarbe wirkte er wie der typische »harte« Mann aus den fünfziger Jahren.
»Haben Sie denn die Verbotsschilder nicht gesehen?« fragte er und wies zum Parkplatz hinüber.
»Ja, schon«, gab Marissa zu. »Aber sehen Sie, ich bin Ärztin …« Sie zögerte, denn ihr Beruf als Ärztin gab ihr natürlich noch lange nicht das Recht, auf Privatgrund vorzudringen.
Rasch fuhr sie fort: »Da Sie hier ja ein virologisches Laboratorium haben, hat es mich einfach interessiert, wie Sie die virologischen Analysen durchführen.«
»Was veranlaßt Sie zu der Annahme, daß dies hier ein virologisches Laboratorium ist?« forschte der Mann.
»Man hat mir das gesagt«, antwortete Marissa.
»Dann hat man Ihnen etwas Falsches gesagt. Wir beschäftigen uns hier mit Molekularbiologie. Bei all dem, was man so über Industriespionage hört, müssen wir sehr aufpassen. Daher wäre es sicher besser, wenn Sie jetzt gehen, bevor ich die Polizei rufen muß.«
»Das wird nicht nötig sein«, versicherte Marissa. Mit der Polizei zu tun zu bekommen war das letzte, was sie sichwünschte. »Ich bitte wirklich um Entschuldigung. Ich wollte Sie keineswegs belästigen. Aber dennoch würde ich sehr gerne mal Ihr Labor sehen. Gibt es denn da keine Möglichkeit, das zu arrangieren?«
»Völlig ausgeschlossen«, sagte der Mann entschieden. Er führte Marissa zu ihrem Wagen zurück, wobei ihre Schritte auf dem Kiesweg knirschten.
»Gibt es denn niemanden, an den
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