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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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unbeholfen von der Mauer. Die Bierdose kippte um, doch sie merkte es nicht. Sie machte einen taumeligen Schritt auf mich zu und blieb wieder stehen. »Nandin? Nandin ist Frohnerts Bruder?«
    Ich glaube, ich stand erst einmal nur da und starrte sie an. Denn sie sah einfach furchtbar aus. Riesige gerötete Augen. Rissige Lippen. Auf der linken Wange ein Bluterguss, der gerade von grün zu gelb verblasste. Ein Blick, der offenbar Mühe hatte, sich an mir festzuhalten.
    Dann sah ich, dass sie weinte. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, und sie schien es nicht zu spüren.
    »Du hast das gewusst. Du hast das die ganze Zeit gewusst … «
    »Nein! Himmel, nein!«
    »Du Arschloch!« Sie drängte sich an mir vorbei und lief davon.
    Ich hätte sie leicht aufhalten können. Aber es hätte sie nur noch wütender gemacht. Also sammelte ich ihre Bierdosen ein, warf die leeren in einen Papierkorb, stellte die Plastiktüte ins Auto und fuhr zurück in den Ort. Nach fünfzig Metern kam ich an einer Bushaltestelle mit Wendeschleife vorbei, stieg aus und studierte den Fahrplan. Der nächste Bus nach Visby fuhr erst morgens um sechs. Der Ort wirkte still, viele der Holzhäuser waren offenbar unbewohnt. Auch im Hafen hatten kaum noch Boote gelegen. Die Sommersaison war vorbei.
    Dhanavati entdeckte ich nirgends. Ich fuhr durch den ganzen Ort und landeinwärts aus ihm hinaus bis zur Abzweigung nach Visby. Niemand stand am Straßenrand und versuchte mitgenommen zu werden.
    Natürlich hätte sie einen Mietwagen haben können. Sogar mit dem Fahrrad ließ sich Visby erreichen, wenn man ausdauernd genug war. Aber in ihrem jetzigen Zustand kam wohl beides kaum in Frage. Außerdem hatte sie auf mich nicht nur betrunken gewirkt, sondern auch sehr müde. Sie würde sich nicht zur Abreise aufraffen können.
    Im Vorbeifahren hatte ich im Ort einen Lebensmittelladen entdeckt und schräg gegenüber ein Café mit einem Vorgarten. Der perfekte Observationsposten, wenn man jemanden suchte, der gerade seinen Biervorrat im Stich lassen musste. Ich stellte das Auto in einer Nebenstraße ab, setzte mich mit einer Tasse Kaffee in den Vorgarten und wartete.
    Tatsächlich dauerte es fast eineinhalb Stunden, bis Dhanavati auf einem Fahrrad die Straße heraufkam. Sie stellte das Rad an der Treppe zum Laden ab und ging hinein, ohne mich zu bemerken. Ich überquerte die Straße und setzte mich auf ein Mäuerchen.
    Fünf Minuten später kam sie heraus, eine gut gefüllte Plastiktüte in der Hand. Als sie mich entdeckte, hielt sie kurz inne. Wieder schien sie nicht überrascht.
    Ich stand auf. »Wie wäre es zwischendurch mit einem Kaffee?«
    »Hau ab.« Sie ging an mir vorbei zum Fahrrad und stellte die Plastiktüte in den Korb.
    »Ich habe es nicht gewusst, Dhani. Ich schwöre es dir. Ich konnte sehen, dass Frohnert viel daran lag, dich ans IAI zu holen – das war offensichtlich –, aber den Grund hat er mir nicht verraten. Erst als ich aus Århus zurückkam. Als ich ihm erzählt habe, was Schulz und Nagel mit dir gemacht haben.«
    Sie fuhr herum. Ich kam ihr zuvor: »Er war entsetzt. So gut kann niemand schauspielern. Er wusste nicht, was sie vorhatten. Ich wusste es auch nicht. Ich schwöre es dir. Ich habe nichts davon gewusst.«
    »Du hast sie zu mir gebracht.«
    »Frohnert hatte mich darum gebeten! Er sagte, du wärst ohne dein Zutun in eine gefährliche Situation geraten … «
    Sie hörte nicht zu. »Von dir haben sie überhaupt erst erfahren, dass ich Eglund besuchen wollte. Ohne dich hätten sie nie von mir gehört. Du hast in meinen E-Mails geschnüffelt – du hast deine BND -Kollegen auf mich angesetzt – du hast ihnen von meiner Klaustrophobie erzählt – und jetzt kommst du und willst mir einreden, du wärst ahnungslos gewesen? Für wie blöd hältst du mich?«
    » Ich war blöd, Dhani. Ich habe ihnen ihre Märchen geglaubt. Sie sagten, Eglund hätte diesen Detektiv zu dir geschickt, um dir weiszumachen, er wäre dein Vater. Sie wollten angeblich nur herausfinden, was er damit bezweckte. Zugleich hat mich Frohnert förmlich bekniet, ihnen zu helfen. Er könnte mir die Hintergründe nicht erklären, aber es wäre zu deinem Schutz. Es wäre geradezu lebenswichtig. Das hatte er vermutlich wörtlich von seinem Bruder. Und er dachte ja, sein Bruder wäre dein Vater.«
    Ich beobachtete ihr Gesicht, während ich sprach, doch es verriet mir nichts. Als ich fertig war, sah sie mich lange schweigend an. »Verstehe«, sagte sie schließlich, und es

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