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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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weggeschickt, weil er keine Tochter gebrauchen könne. Sicherlich hat sie da einiges verschwiegen. Schon aus dem »Bericht« im Fanforum geht hervor, dass sich Eglund ausführlich mit ihr unterhalten haben muss. Aber ich bohrte nicht nach. Dass sie den Wunsch hatte, ihren Waffenhändler-Vater möglichst schnell zu vergessen, war ja nur positiv. Und sie sollte auf keinen Fall den Eindruck bekommen, dass ich sie über Eglund aushorchen wollte.
    Natürlich sprachen wir auch über ihre Mutter und über ihre Kindheit auf Gotland. Wir besuchten Orte, an denen sie gespielt hat, fanden das Haus, in dem die Kommune damals wohnte, und bekamen über den Hotelbesitzer Carl Kontakt zu der Frau, die es für Familie Eglund verwaltet, so dass wir es besichtigen konnten. Viel hat sich daraus jedoch nicht ergeben. Das Haus ist nach der Auflösung der Kommune jahrelang an Urlaubergruppen vermietet worden, so dass von der ursprünglichen Einrichtung kaum etwas übrig ist. Und die Frau, die sich um das Haus kümmert, erwies sich als ausgesprochen abweisend. Carl behauptete zwar, sie habe früher einmal selbst zu der Kommune gehört, aber uns gegenüber tat sie so, als könnte sie sich an nichts und niemanden erinnern.
    Auch an Ihren Adrian nicht. Damit bin ich endlich bei dem Grund, weshalb ich Ihnen noch einmal schreibe. Eigentlich war mit meinem letzten Brief alles gesagt: Ich habe Barnes nicht zu Gesicht bekommen, und auch Dhanavati hat nichts mehr von ihm gehört. Andererseits ist es sicher sinnvoll, wenn Ihnen die Hintergründe all dieser Ereignisse zumindest in groben Zügen bekannt sind – schon damit Sie gewarnt sind, falls sich Schulz und Nagel doch noch einmal bei Ihnen melden sollten. Zum anderen sind mir Zweifel gekommen, ob Sie der ersten kurzen Mitteilung überhaupt geglaubt haben. Darum hier noch einmal ausführlich. Ich habe nicht nur Dhanavati nach Barnes gefragt, sondern auch die Hausverwalterin Ingela und Carl. Niemand hat ihn gesehen. Höchstwahrscheinlich war er nie hier.

DHANAVATI
    Die wichtigste Formel war unauffindbar. Sie hob die obersten Blätter hoch – falsch – , wühlte dann tief im Papierhaufen und zog ein Blatt heraus wie eine Losfee – falsch – , packte den ganzen Haufen und trug ihn in die Küche, legte ihn auf dem Fußboden ab.
    Hier war es wenigstens warm. Es roch sogar noch nach der Dosensuppe, die sie vorhin heiß gemacht hatte. Tomaten. Gemüse. Hackfleischbällchen.
    Gemütlich.
    Sie kehrte kurz ins Nebenzimmer zurück und holte Stifte, Geodreieck und Schreibblock. Der Block war schon wieder fast aufgebraucht, hatte sie ihn nicht erst gestern gekauft?
    Vorgestern.
    Vorvorgestern.
    Egal. Alles egal. Sie schob den benutzten Suppenteller weg, legte das Schreibzeug auf den Tisch, nahm das Sitzkissen vom Stuhl, warf es vor dem Papierhaufen auf den Fußboden und setzte sich.
    Der Nachbarshund bellte.
    Hier unten war es nicht ganz so warm: Die kühle Luft, die durch das leicht geöffnete Fenster sickerte, fiel ihr genau in den Nacken und lief ihr von dort den Rücken hinunter. Blöd. Zumal es nachts inzwischen verdammt kalt wurde. Aber Schließen kam nicht in Frage.
    Und sie würde auch nicht darüber nachgrübeln, wie sie jemals ein normales Leben führen sollte, wenn sie es nach Einbruch der Dunkelheit nicht in geschlossenen Räumen aushielt. Tagsüber kam sie inzwischen zurecht; wenn die Räume Fenster hatten und nicht zu klein waren; wenn sich nicht zu viele Menschen um sie drängten …
    Nein, Dhani. Hier sind keine anderen Menschen. Das Licht brennt, das Fenster steht einen Spalt weit offen, die Zimmertüren sind unverschlossen, und an der Haustür steckt der Schlüssel von innen. Du könntest jederzeit hinaus.
    Der Hund bellte.
    Sie reckte sich, angelte die Bierdose vom Tisch, trank und stellte die Dose neben sich auf den Fußboden. Nahm das oberste Blatt Papier und kniff die Augen zusammen. Tolle Skizze. Was sollte das darstellen, die Erde, die Erdbahn? Abhandlung über die Geometrie des Hühnereis. Als wäre jemand betrunken gewesen, haha. Jedenfalls: Gezeichnet hatte sie nur gestern Nacht, bei der Berechnung des Tagesbogens, also gehörte das Blatt zu Projekt Nummer drei.
    Drei. Ganz rechts. Sie legte es vor den Kühlschrank und griff nach dem nächsten.
    Zahlenkolonnen. Divisionen. O Gott. Die sinnfreie Suche nach vollkommenen Zahlen. Wie weit war sie gekommen, bis zur vierten? Dann war ihr die euklidsche Formel wieder eingefallen, und danach hätte sie nur immer höhere Zweier-Potenzen

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