Visby: Roman (German Edition)
einschleime und deine Organisation ausspähe.«
Stille; aber die Stille schmeckte jetzt anders. Dies war es, was ihn interessierte, nur dies, alles andere war lästiges Beiwerk gewesen. Sie hörte ein leises Rascheln und merkte, dass Janis neben ihr stand, den Blick nicht auf sie, sondern auf Eglund gerichtet.
»Du hast natürlich abgelehnt«, sagte Eglund. Sein Tonfall war völlig neutral.
»Deine Geschäfte interessieren mich nicht. Ich will nur wissen, was damals auf Gotland passiert ist. Weshalb meine Mutter sich umgebracht hat.«
Er hörte kaum zu, die letzten zwei Sätze wehten einfach an ihm vorbei. »Und das war’s? Du hast nein gesagt, und sie sind gegangen?«
»Nein.« Plötzlich konnte sie ihn nicht mehr ansehen, dieses Arschloch, von dem sie geglaubt hatte, er würde ihr weiterhelfen. Wie blöd musste man eigentlich sein, um auf die Idee zu kommen? Auf dem Schreibtisch lag noch die Packung Tabak, sie griff danach und drehte eine neue Zigarette. Ihre Hände zitterten nicht mehr, wenigstens das, auch wenn sie immer noch die Kälte spürte, kalte Kacheln, deren Fugen man mit den Fingerspitzen entlangfuhr … Nein. Geh da nicht wieder hin. Sie leckte das Blättchen an.
»Sondern was? Muss man jedes Wort einzeln aus dir herauskitzeln?«
»Was für eine treffende Wortwahl.« Man hörte die Wut, aber es war ihr egal. »Soll ich deinem Juri etwa noch Tipps geben? Mal’s dir doch selbst aus. Wenn es dir Spaß macht.«
Sie griff nach dem Feuerzeug und zündete die Zigarette an. Diesmal akzeptierte ihr Magen den Rauch, und sie sog ihn tief ein. Eglund schwieg und schwieg, aber sie sah ihn nicht an, sie rauchte und beobachtete, wie sich die Glut das Papier hinauffraß.
Janis räusperte sich. Eglund lehnte sich zurück. »Und am Ende … «
»Ich habe nicht bis zum Ende gewartet. Ich bin vom Balkon aufs Schuppendach gesprungen, vom Schuppen in den Nachbarhof, von da bin ich zum Hafen gelaufen. Deshalb habe ich kein Gepäck. Nur was ich unterwegs gekauft habe. Mein Telefon habe ich weggeworfen. Und der iPod steckte einfach zufällig noch in der Jacke. Die Platte stand bei meinem Großvater auf dem Dachboden. Ich habe sie selbst digitalisiert, das ist nun wirklich kein Kunststück. Ich kann dir gern zeigen, wie man es macht.«
Der Atem ging ihr aus, sie schwieg und blickte sich nach dem Glas um. Es war noch halbvoll. Sie trank es aus, die Flasche stand daneben, sie goss sich nach. Drückte die Zigarette aus, zog einen Fuß auf die Sitzfläche des Stuhls, schlang den linken Arm um das Bein und legte die verletzte Hand auf dem anderen Oberschenkel ab. Trank in kleinen Schlucken. Der Alkohol nahm der Wut die Schärfe, sie fror nicht mehr, sie war nur noch müde. Eglund unterhielt sich mit Janis. Sie redeten eine dieser unverständlichen Sprachen; auf einer Konferenz hatte mal jemand von einer Reise nach Estland berichtet: Klar war man auf Ausländer eingerichtet, es gab sogar dreisprachige Speisekarten – Estnisch, Russisch und Finnisch. Sie schloss die Augen und drückte die Stirn gegen das Knie. Weg. Sie wollte weg. Nie mehr Fragen stellen. Nie mehr an früher denken. Den Kopf ausschalten, alle Gedanken davontreiben lassen, auseinandertreiben, auf dem Wasser …
Eglund sagte etwas auf Englisch. Sie hob den Kopf, sein Gesicht schwamm in ihr Blickfeld und wurde scharf. »Janis will, dass du die Männer beschreibst«, sagte er.
»Arschlöcher. Auch. Nur ein anderer Typ.« Sie ließ das Knie los und stellte den Fuß auf den Boden. »Warum? War Janis auch beim BND ?«
Und Stille. Dass man glaubte, die Welt wäre aus dem Takt geraten, beim Übergang von einem Zustand zum nächsten plötzlich steckengeblieben. Was geschah in einem zellulären Automaten, wenn der nächste Zeitschritt nicht klappte? Weil der Mechanismus klemmte? Wer reparierte das?
Eglund hatte schon wieder etwas gefragt. »Was?«
»Wieso glaubst du, dass sie vom BND sind?«
Sie rieb sich die Schläfe, hob dann die Schultern. »Es ist nur eine der Möglichkeiten. Als sie mich nachts gesucht haben – sie waren allein. Zu dritt. Keine Polizei. Keine Århuser Polizei.« Konfus, dachte sie. Du redest wirr. »Der sie zu mir gebracht hat« – hatte sie Jens schon erwähnt? – »der hat mir erzählt, dass er bei der Bundeswehr war. Im Ausland. Kosovo. Beim BND sind jede Menge Bundeswehrleute.« Ein schwieriges Wort. Sie wiederholte es. »Bundeswehrleute. Deswegen. Es ist eine Vermutung.«
Eglund sah sie lange an. »Okay. Beschreib die
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