Viscount und Verfuehrer
„Wollen wir los? Ich muss den Hut sehen, in den du dich so verliebt hast.“ Beatrice hob die Brauen. „Beth, du willst doch ganz bestimmt wissen, was ich über den Viscount erfahren habe.“ „Nun, will ich nicht. Können wir jetzt einkaufen gehen? Ich brauche Abendschuhe zu dem neuen seidenen Ballkleid, das Großvater mir geschickt hat.“
Beatrice betrachtete Beth von oben bis unten. „Hmm. Ich sehe schon, was los ist. Du bist wütend. Auf Westerville.“ „Bin ich nicht.“
„Doch, bist du wohl. Anders kann ich mir nicht erklären, warum dich der Klatsch über ihn nicht interessiert. Du musst wütend auf ihn sein. Und das heißt natürlich wiederum, dass du ihn seit unserem letzten Gespräch noch einmal gesehen hast.“
„Ah!“, sagte Beth erleichtert, als draußen vor dem Haus die Kutsche zu hören war. „Da ist dein Kabriolett. Bist du fertig?“
„Beth, ich will wissen, was passiert ist. Hat er etwas zu dir gesagt? War er unverschämt, oder hat er etwas Unanständiges gesagt? Hat er ...“ Beatrices Augen weiteten sich. „Er hat dich geküsst, stimmt’s?“
„Nein!“, widersprach Beth, die sich der Lakaien sehr bewusst war, die mit ausdrucksloser Miene in der Halle standen. Sie packte ihre Cousine bei der Hand und zog sie zur Eingangstür. „Komm. Wir reden im Kabriolett weiter.“ „Allerdings“, entgegnete Beatrice, nicht im Mindesten verlegen. Sie hängte Beth bei sich ein und ging mit ihr zur wartenden Kutsche hinaus.
Kaum dass sie unterwegs waren, wandte Beatrice sich an Beth. „Also dann. Erzähl mir alles. Womit hat Westerville dich verärgert?“
Verflixt, würde Beatrice denn nie Ruhe geben? Beth knirschte mit den Zähnen. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht wütend auf ihn bin, es ist nur ... ach, zum Kuckuck. Dann erzähl mir eben, was du über den Viscount herausgefunden hast.“
Beatrice seufzte. „Was für eine Geheimniskrämerin du bist. Ich frage mich, warum mir das noch nie aufgefallen ist.“ Sie rutschte ein wenig näher und beugte sich zu Beth. „Als ich angefangen habe, Erkundigungen über deinen Freund einzuziehen, habe ich zwar eine Reihe merkwürdiger Blicke geerntet, aber sagen wollte keiner etwas. Oh, es gab natürlich die üblichen Gerüchte, zum Beispiel, dass er was mit Mrs. Edlesworth hatte, was mich nicht weiter wundert, denn das passiert anscheinend jedem Mann, der neu in London ist. Bei ihr herrscht mehr Verkehr als auf der London Bridge. Man sollte die Frau einfach zur Sehenswürdigkeit erklären und eine Tafel an ihrem Haus anbringen mit der Inschrift:,Hier wohnt Louisa Edlesworth, in ganz London berüchtigt für ihre Männerbekanntschaften. Dafür würde ich sogar Geld spenden, und ich könnte mir vorstellen, andere Frauen auch, wenn ...“
„Beatrice.“
Beatrice blinzelte. „Was?“
„Was hast du über den Viscount herausgefunden, abgesehen davon, dass ihm eine Liaison mit Louisa Edlesworth nachgesagt wird?“
Aufgeregt schlang Beatrice die Hände ineinander. „Also! Über den Viscount gehen die merkwürdigsten Gerüchte um ...“
„Ja, ja. Da hast mir schon erzählt, dass er ein Straßenräuber gewesen sein soll. Ich glaube das ja nicht, aber ...“
„Ach, die Leute erzählen alles Mögliche. Anscheinend war er mehrere Jahre wie vom Erdboden verschluckt. Da hieß es dann, er hätte etwas ...“, Beatrice senkte die Stimme, „... Illegales getan.“
„Das würde mich nicht überraschen.“
„Mich auch nicht.“ Beatrice schauderte kunstvoll zusammen. „Der Mann hat etwas Gefährliches an sich. Lady Chudrowe wurde gelb vor Neid, als ich ihr erzählte, er wäre mit uns in meinem neuen Kabriolett ausgefahren.“ Beatrice seufzte glücklich. „Und Lady Thimpkinson konnte kaum noch an sich halten, sobald sie entdeckte, dass ich ...“ „Beatrice, ich bin mir sicher, dass alle dich wahnsinnig bewundern. Was hast du sonst noch über Westerville herausgefunden?“
„Nun, manche behaupten, er hätte vor der französischen Küste einen Schmugglerring organisiert. Andere munkeln, eine italienische Gräfin würde ihn als ihren Liebhaber halten ... “
„Also, in meinen Ohren klingt das alles grotesk“, meinte Beth in hochmütigem Tonfall, obwohl sie sich den Viscount, wenn sie ehrlich war, in all diesen schneidigen Rollen gut vorstellen konnte. Er schien völlig furchtlos, und dass er gern Risiken einging, hatte sie ja gesehen.
Sie runzelte die Stirn. Eigentlich wusste sie ja nur, wie er zu sein schien, hatte aber
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