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Vision - das Zeichen der Liebenden

Vision - das Zeichen der Liebenden

Titel: Vision - das Zeichen der Liebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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armen, verängstigten Wesen, das sich gerade zum ersten Mal seit so vielen Jahren erlaubt hatte, einen winzigen Hoffnungsschimmer zu empfinden. Er wünschte sich von ganzem Herzen, Arion helfen zu können, ihn endlich von seinem Leiden zu befreien. Und deshalb war er entschlossen, ihn aus dem Labyrinth herauszuholen.
    Als Alex sich mit der Schulter gegen die dünne Kulissentür stemmte, schwang sie ohne den geringsten Widerstand auf. Warme Sonnenstrahlen kitzelten ihn im Gesicht. Überwältigt schloss er die Augen und atmete tief die frische Luft ein. Als er die Augen wieder öffnete, stellte er fest, dass er sich auf einem der Aussichtspunkte am Ende der Strandpromenade befand. Hinter der Bucht lagen die Straßen, die er so gut kannte, die Bäume, die Plätze. Und dazwischen glitzerte das Meer, majestätisch und noch blauer als der Himmel.
    Er war nach Hause zurückgekehrt.
    Seine Schwester und seine Mutter kamen ihm in den Sinn. Er musste sofort zu ihnen. Er wollte sie in den Arm nehmen und ihnen sagen, wie sehr er sie vermisst hatte.
    Neben ihm stöhnte jemand leise. Wenige Schritte entfernt starrte Arion verzückt in die Sonne.
    Er schien gar nicht zu bemerken, was mit seiner entsetzlichen metallenen Maske geschah. Jedes einzelne der unzähligen Piercings schmolz in der Sonne, winzige Quecksilbertränen liefen in Strömen über sein Gesicht. Der letzte Wächter lächelte, den Kopf zum Himmel erhoben, die Lider geschlossen.
    Ohne eine einzige Wunde in Arions Haut zu hinterlassen, verschwanden die Zeichen der Verstümmelung und Folter. Als er nun die Augen öffnete, war er nicht wiederzuerkennen: ein schlanker junger Mann mit fahlem Gesicht und feurigem Blick stand vor Alex, gekleidet in ein uraltes schwarzes Wams, das aussah, als würde es bei der leisesten Berührung zu Staub zerfallen.
    »Wo sind wir?« Verwirrt blickte Arion Alex an. »Was ist das hier für ein Ort? Solche Gebäude habe ich noch nie gesehen, auf keiner meiner Reisen… Wo sind wir? Was hat das alles zu bedeuten?«
    In seine Augen trat nackte Angst. Innerhalb von Sekunden wich die anfängliche Verwirrung einem Ausdruck der Bestürzung und schlug schließlich in Wahnsinn um. Der letzte Wächter hatte seine Höhle verlassen, doch das Licht erhellte nichts, was er verstehen konnte. Die Welt hatte sich zu sehr verändert, alle Menschen, die er geliebt oder geschätzt hatte, waren längst in ihren Gräbern zu Staub zerfallen. Entsetzt starrte er die verglasten Hochhäuser an, die Autos, die auf dem Asphalt dahinrollten, die roten und grünen Lichter der Ampeln. Nichts von dem, was er sah, ergab einen Sinn für ihn.
    Fassungslos musste Alex mit ansehen, wie Arion sich erneut verwandelte: Das junge Gesicht, das gerade eben noch mit einem Ausdruck größten Glücks das warme Licht der Sonne genossen hatte, alterte binnen Sekunden. Wie im Zeitraffer wurde es blass und faltig. Die Hände überzogen sich mit Runzeln, der Rücken krümmte sich, tiefer und tiefer sanken die Augen in die Höhlen. Einige Augenblicke lang sah der Mann so alt und verstaubt aus wie die Kleidung, die er trug.
    Wenige Sekunden später war Arion verschwunden. Sein ausgetrockneter Körper war zerrieselt, der Wind formte aus dem hellen Staub einen aufsteigenden Wirbel, bevor er ihn ins Meer wehte.
    Kapitel 6
    Alex hatte nur noch einen einzigen Gedanken: Er wollte nach Hause. Er wollte seine Mutter und seine Schwester wiedersehen und sich an den Ort zurückziehen, an dem in jeder Ecke Erinnerungen an seinen Vater schlummerten. Er hatte Hugos Bitte erfüllt und wie durch ein Wunder überlebt. Jetzt war er müde.
    Doch etwas hielt ihn zurück. Er drehte sich wieder zu der Kulissentür um, durch die Arion und er vor wenigen Minuten ins Freie getreten waren. Sie war noch da, unversehrt, so wirklich wie die Gebäude um ihn herum, die Palmen am Weg und die Jachten im Hafen. Die Promenade war menschenleer, niemand hatte die schaurige Verwandlung des letzten Wächters miterlebt. Der letzte Wächter… Die Festung…
    Während er noch dastand und überlegte, war plötzlich unter der Erde ein fernes Beben zu spüren, ein dumpfes Grollen, das ganz allmählich anschwoll und auf ihn zurollte. Etwas ging in der Festung vor sich und er war sich auf einmal sicher, dass es mit Arions und seiner Flucht aus dem Labyrinth zusammenhängen musste.
    Es gab nur einen Weg zurück in die Festung: das Labyrinth. Als er wieder in die verlassenen Filmkulissen eintauchte, stellte er zu seiner Überraschung fest,

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