Vision - das Zeichen der Liebenden
Lippen, wie eine alte Götterstatue. Einem Impuls folgend, rutschte Alex näher an sie heran. Dann beugte er sich vor und küsste sie. Janas Lippen, weich und verlockend, öffneten sich leicht und empfingen seinen Kuss, ohne den geringsten Widerstand zu leisten. Gleich darauf spürte er ihre Finger an seinem Hals und dann in seinem Nacken. Sie erwiderte seinen Kuss und schmiegte sich an ihn. Alex erhob sich und zog sie mit nach oben. Eng umschlungen standen sie mitten im Raum, so eng, dass er den rauen Stoff von Janas Jeans spüren konnte, ihr Baumwoll-T-Shirt, das so dünn war, dass er die Wärme ihrer Haut darunter wahrnahm.
Wie in Trance strich er mit den Fingern über Janas Locken, streichelte sanft über ihren zarten Hals und ihre weichen Wangen, bis hinunter zu ihren kleinen, festen Brüsten und ließ die Hände schließlich über ihren Rücken hinab zur Hüfte gleiten, wo er sie sachte unter ihr T-Shirt schob und ihre Taille umfasste. Es war atemberaubend, Jana ohne Angst vor dem Tattoo berühren zu können und diesen kostbaren Augenblick einfach nur zu genießen. Auch wenn sich das alles nur in ihren Köpfen abspielte – Alex wusste, dass Jana in diesem Moment genau dasselbe empfand wie er. Und das genügte ihm.
Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war, als ein leises Rasseln ihn aufschreckte, ein wildes Geräusch, das eher in eine Wüste oder einen Urwald gepasst hätte als in eine menschliche Umgebung. Instinktiv löste Alex sich von Jana und sah sich um.
»Ein bildhübsches, aber gefährliches Mädchen«, sagte eine Stimme hinter ihm, die er einmal gekannt und schon fast vergessen hatte. »Du darfst ihr nicht vertrauen. Unter keinen Umständen darfst du das vergessen. Wirst du daran denken? Alex, ich weiß, du willst das jetzt wahrscheinlich nicht hören, aber glaub mir, es ist wichtig, dass du dir meine Worte merkst. Sei auf der Hut. Und sag ihr vor allem nicht, dass wir im Turm der Winde sind… Bitte denk daran, mein Junge.«
Ganz langsam drehte Alex sich um, all seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Ein paar Sekunden sah er in das schöne, kluge Gesicht seines Vaters, so wie er es in Erinnerung hatte: die blauen Augen, die scheinbar in die Menschen hineinsehen konnten, das leicht überhebliche Lächeln…
Doch noch während er seinen Vater anblickte, veränderte sich dessen Miene: Das Lächeln bekam einen bitteren Zug und aus den Augen sprach jetzt unerträglicher Kummer. Gleich darauf war Hugo verschwunden. Nicht nach und nach, sondern schlagartig, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Als wäre er nie da gewesen.
Alex stöhnte leise auf.
»Was ist?«, fragte Jana alarmiert. »Hast du was gesehen?«
Alex schüttelte den Kopf, als wolle er einen störrischen Gedanken loswerden. Er drehte sich zu Jana um und zuckte zurück. Sie hatte ihr T-Shirt ausgezogen. Sinnlich, aber auch ein wenig vorwurfsvoll blickte sie ihn an. Sie schien nicht einmal zu bemerken, dass sich eine riesige goldene Schlange um ihre Taille geschlungen hatte. Der Schwanz des gewaltigen Tiers ruhte auf dem Reißverschluss von Janas Hose, während der Kopf über ihrer Schulter schwebte und langsam über die verführerische schwarze Spitze des BHs nach unten glitt.
Wieder war das Rasseln zu hören, näher und eindringlicher als vorher. Es ging von der Schlange aus, die bis eben noch in Janas Haut tätowiert gewesen war und die jetzt lebendig und bedrohlich über ihr schwebte.
»Es geht zu Ende«, sagte Jana und sah ihn traurig an. »Gleich sind die letzten Papierstückchen erloschen.«
Im nächsten Moment war es vorbei. Schlagartig befanden sie sich wieder in Alex’ Zimmer auf dem alten Teppich, Jana hielt ein Häufchen schwarzer Asche in der Hand, das intensiv nach verbranntem Papier roch.
Ihre Blicke trafen sich. In Janas Augen stand Enttäuschung. »Was war denn los? Warum hast du dich von mir weggedreht?«, fragte sie so betont gleichgültig, als würde ihr an der Antwort nicht viel liegen. »Hast du irgendwas gesehen?«
»Meinen Vater«, antwortete Alex abwesend. »Er war da, direkt hinter mir.«
Jana wurde blass. »Dein Vater war da?«, fragte sie ungläubig. »Aber wie kann es denn sein, dass ich ihn dann nicht gesehen habe? Hat er was gesagt?«
Alex zögerte einen kurzen Moment, bevor er antwortete. »Nein, er hat nichts gesagt. Er hat nur dagestanden und mich traurig angesehen.«
Jana hob die Schultern. »Dann wundert es mich nicht, dass du abgelenkt warst«, sagte sie und klang schon ein
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