Vision - das Zeichen der Liebenden
halten würdest.«
Alex biss sich auf die Unterlippe. Der Wunsch, Jana zu berühren, brachte ihn fast um.
»Ich bin nicht verständnisvoll«, sagte er. »Ich liebe dich ganz einfach. Und ich werde alles tun, was nötig ist, um dich davon zu überzeugen, dass ich der Richtige für dich bin. Aber ich kann durchaus verständnisvoll sein. Wenn es das ist, was du willst.«
Jana lehnte sich an die geschlossene Haustür. Sie sah aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie ihn gehen lassen sollte oder nicht. Sie wirkte überrascht.
»Du gehst aufs Ganze«, sagte sie.
»Du auch.«
Sie zog die Tür auf und trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen.
Das warme Herbstlicht betonte den desolaten Zustand der Villen noch, die die Straße zu beiden Seiten säumten. Der Taxifahrer hupte ungeduldig.
Das Letzte, was Alex von Jana sah, war ihr graues T-Shirt, das sich im Wind blähte und für eine Sekunde ihre Taille und ihren Bauchnabel entblößte. Er schloss die Augen. Das Taxi fuhr viel zu schnell, gemessen am schlechten Zustand der Fahrbahn und den abschüssigen Kurven.
»Dieses Viertel ist das Letzte«, fluchte der Taxifahrer. »Ich komme bloß her, weil ich muss, und allen meinen Kollegen geht’s genauso. In den Straßen hier wohnt der Teufel. Man weiß nie, wie man fahren soll. Ich bin fast eine Stunde rumgekurvt, bis ich dieses verdammte Haus endlich gefunden habe. Dir ist ja wohl klar, dass das teuer wird! Und trotzdem lohnt sich die Fahrt in diese Hölle nicht.«
Alex blickte zum Fenster hinaus. Sah so die Hölle aus? Die herrschaftlichen Häuser mit ihren Säulenportalen und den Marmorterrassen waren verlassen, ja, und viele wirkten baufällig… Aber alles strahlte einen unglaublichen Frieden aus, der fast schon ein wenig melancholisch machte. Verwilderte Gärten, schmiedeeiserne Gitter, Fassaden in Pastelltönen… Wie war es möglich, dass jemand mit solchem Hass über so einen harmlosen Ort sprechen konnte? Besorgt warf er einen Blick auf das Taxameter, das bereits einen ziemlich hohen Betrag anzeigte. Merkwürdig. Er hätte schwören können, dass Jana und er nur wenige Minuten gewartet hatten. Aber auf dem Taxameter war eindeutig abzulesen, dass der Taxifahrer nicht übertrieb. Er schien das Haus tatsächlich eine Stunde lang gesucht zu haben.
Als sie am Ende einer Straße rechts abbogen, lag plötzlich die Strandpromenade vor ihnen und nur kurze Zeit später wurde die Autobahnauffahrt angezeigt.
»Ich glaub’s einfach nicht! Jetzt haben wir in fünf Minuten rausgefunden«, schimpfte der Taxifahrer. »Ich sag’s ja, ich verstehe nicht, wie man da wohnen kann…«
»Nicht jeder kann es sich aussuchen«, erwiderte Alex.
Auf seiner Schulter brannte das Tattoo, das ihn für immer an das geheimnisvolle, seltsame Mädchen band, das in der Antigua Colonia lebte. Auch ohne Tattoo hätte er sie geliebt.
Doch da war es, für immer in seine Haut geritzt, um ihn daran zu erinnern, dass er Jana brauchte, dass er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlte. Ein magisches Tattoo, das mit jedem Meter, den er sich von ihr entfernte, heftiger schmerzte, bis es schier unerträglich wurde. Als würde es jeden Moment aufbrechen wie eine Blüte aus Blut, wie eine tiefe schwarze Wunde.
Kapitel 6
Ein schrilles, beharrliches Klingeln schlich sich in Alex’ Schlaf und rüttelte ihn wach. Seine Hand tastete nach den eckigen Umrissen des Weckers auf dem Nachttisch, warf jedoch nur ein Buch herunter. Unerbittlich bohrte sich das Klingeln weiter in sein Trommelfell…
Genervt stützte er sich auf und öffnete die Augen. Am Fußende des Bettes saß seine Schwester Laura. Ein triumphierendes Grinsen auf den Lippen, hielt sie den schrillenden Wecker in die Höhe, der ihn so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte.
»Kannst du das bitte ausschalten?« Stöhnend ließ Alex sich zurück aufs Kissen fallen.
»Dir auch einen guten Morgen.« Laura stellte den Wecker aus, doch das Klingeln hallte unangenehm in Alex’ Ohren nach.
»Wie spät ist es? Ich hab mir doch gar keinen Wecker gestellt.«
»Ich habe ihn gestellt. Es ist zwei Uhr nachmittags, Zeit zum Mittagessen. Du hast den ganzen Vormittag verpennt.«
Verärgert richtete Alex sich wieder auf und starrte seine Schwester an. Mit ihren zwölf Jahren benahm Laura sich manchmal so erwachsen, dass es zum Verzweifeln war. Andererseits war er ihr manchmal fast dankbar dafür. Es war schön zu wissen, dass man für jemanden wichtig war. Seine Mutter arbeitete rund um die Uhr,
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