Vision - das Zeichen der Liebenden
Freundes konnte Alex nicht täuschen. Erik war extrem beunruhigt – und ging sofort in die Defensive. »Aha. Eine Vision über mich«, mutmaßte er. »Über uns. Und? Bist du zu einer interessanten Schlussfolgerung gekommen?«
Alex’ Gehirn arbeitete fieberhaft. Ihm fiel ein, was Erik ihm über Jana erzählt hatte. All die seltsamen Dinge, die er über sie und ihren Bruder zu wissen schien. Und er musste auch wieder an den glitzernden Skorpion in seinem Nacken denken, der genauso lebendig gewirkt hatte wie die Schlange auf Janas Rücken. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. »Du bist einer von ihnen. Das ist es. Deswegen weißt du so viel.«
Erik wich Alex’ Blick nicht aus. Stattdessen nickte er ernst. »Als das mit deinem Vater passiert ist, tat es mir wahnsinnig leid. Ich dachte, es würde für immer zwischen uns stehen. Dass du danach nicht mehr mit mir befreundet sein wolltest. Du warst wie ausgewechselt und ich hatte das Gefühl, du vertraust mir nicht mehr… Damals wollte ich dir alles erzählen. Ich hab’s sogar mal versucht. Erinnerst du dich daran?«
Alex fiel aus allen Wolken. »Du wolltest mir alles erzählen?«, wiederholte er. »Was meinst du denn damit?«
Der Ausdruck in Eriks Augen war sonderbar. Es gelang Alex nicht, ihn zu deuten.
»Wahrscheinlich war ich nicht deutlich genug. Ich glaube, du hast mir auch gar nicht richtig zugehört. Ich bin damals einfach nicht mehr an dich rangekommen. Und danach hab ich’s nicht noch mal versucht.«
»Sag mal, wovon redest du eigentlich?« Alex kam es vor, als sähe er seinen Freund auf einmal mit ganz neuen Augen. »Ich habe keine einzige Erinnerung daran, dass wir nach dem Tod meines Vaters über Jana geredet haben. Wenn du mir was über sie erzählt hättest, wüsste ich es bestimmt noch.«
»Weißt du noch, was ich dir über die Klane gesagt habe?«
»Was hast du denn ständig mit deinen Klanen? Und was für Klane sollen das überhaupt sein?«
Erik seufzte unschlüssig. »Okay, ich war wohl wirklich nicht deutlich genug. Oder du hast nicht verstanden, was das alles mit dir zu tun hat. Sonst hättest du das Gespräch nicht so einfach vergessen. Aber jetzt hat sich die Situation verändert. Vielleicht wird es allmählich Zeit, Klartext zu reden«, sagte er. »Wenn ich es dir nicht erzähle, tun es andere. Oder du findest es selber raus.«
Erik stand auf, ging mit großen Schritten zur Tür und spähte in den Flur, um sich zu vergewissern, dass niemand sie hören konnte. Dann warf er einen Blick auf die Infusion, die mit Alex’ Hand verbunden war. Der Beutel war noch halb voll. Sie hatten also genug Zeit, bis jemand kam, um die Infusion zu wechseln.
Erst dann setzte Erik sich wieder neben Alex ans Bett. Er schien diesen ganzen Aufwand nur zu betreiben, um sich in Ruhe seine Worte zurechtlegen zu können. »Ich hab dir ja schon von den Agmar-Zauberinnen erzählt«, begann er schließlich. »Eins musst du dazu noch wissen: Die Agmar sind keine Menschen, sondern Medu. Das heißt: Jana ist eine Medu, David ist ein Medu und ich bin es auch. Allerdings gehöre ich zu einem anderen Klan als die beiden, neben den Agmar gibt es nämlich noch andere Medu-Klane. Es ist schwer, in wenigen Worten zusammenzufassen, was wir sind. Mit der Zeit sind wir den Menschen so ähnlich geworden, dass sogar wir selber die Unterschiede vergessen haben.«
Alex spürte das Blut in seinen Schläfen pochen. Sein bester Freund hatte den Verstand verloren. »Erik, bitte, merkst du nicht, wie fertig ich bin?«, murmelte er. »Erspar mir diese Geschichten. Lass den Quatsch!«
Erik sah ihn traurig an. »Ich weiß, es ist schwer zu glauben. Sogar für uns. Wir leben in der Welt der Menschen und müssen uns doch permanent verstecken. Und das Schlimmste ist, dass wir den Menschen so sehr gleichen. Im Grunde sind wir genau wie sie. Doch darüber hinaus sind wir eben manchmal auch noch etwas anderes.«
Alex fehlte die Kraft, erneut zu protestieren. Außerdem machte es ihn inzwischen schon ein bisschen stutzig, dass Erik so beharrlich bei seiner Geschichte blieb. So unglaublich das alles auch klang – je länger Erik sprach, desto deutlicher spürte Alex, dass der Freund ihm die Wahrheit erzählte. Ihm wurde schwindelig, als er begriff, was das bedeutete. Wollte er das alles überhaupt hören? Aber wie es aussah, hatte er schon längst keine Wahl mehr.
»Ich verstehe das nicht«, flüsterte er matt, während ihn die Erschöpfung überrollte wie eine Welle. »Was seid ihr denn
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