Vision - das Zeichen der Liebenden
dann? Geister? Unsterbliche?«
Noch immer lag dieses kleine, traurige Lächeln in Eriks Augen. »Nein. Oder vielmehr: nicht mehr. Am Anfang war alles anders. Aber dann haben wir uns für die menschliche Gestalt entschieden, mit allem, was dazugehört. Jetzt werden wir geboren, leben und sterben, so wie ihr. Wir lieben und hassen, wir bekommen Kinder…«
»Miteinander?« Alex verspürte einen Anflug von Eifersucht. Seit er wahrgenommen hatte, dass Erik ihn, so unglaublich das auch klang, nicht anlog, kreisten seine Gedanken um einen Punkt: dass Erik und Jana gleich waren, dass sie – egal, wer oder was sie waren – etwas verband, von dem er definitiv ausgeschlossen war.
Erik durchschaute ihn natürlich sofort. Er grinste. »Ja, miteinander, aber auch mit Menschen, bloß kommt das nicht so oft vor.«
»Wenn das so ist, warum reitest du dann so darauf rum, dass ihr keine Menschen seid? Was unterscheidet euch von anderen? Die Tattoos?«
»Gewissermaßen. Wir benutzen sie, um die Magie zu kanalisieren. Die Magie ist nichts Übernatürliches, wie ihr glaubt, ganz im Gegenteil. Sie ist überall, das ganze Universum ist von ihr durchtränkt: jedes Elementarteilchen, jedes noch so kleine Lebewesen. Die Ausnahme seid ihr Menschen. Oder vielleicht versteckt sich ein Rest Magie noch in irgendeinem Winkel eures komplizierten Bewusstseins. Wer weiß – vielleicht habt ihr einfach nur vergessen, wie man sie benutzt. Aber selbst wenn es so wäre, gäbe es kein Zurück: Ihr habt euch schon viel zu weit von allen anderen Lebewesen wegentwickelt. Das glauben zumindest die meisten von uns. Allerdings kennen wir euch nicht besonders gut.«
»Ihr seid wie wir, ihr lebt mit uns, aber ihr kennt uns nicht«, wiederholte Alex sarkastisch. »Und das soll ich dir glauben.«
»Warum wundert dich das? Ihr kennt euch ja nicht einmal selbst. Außerdem ist unsere Geschichte ziemlich chaotisch verlaufen. Viel ist über die Jahrtausende verloren gegangen, auch die Erinnerung an unsere Ursprünge. Alles, was wir noch haben, sind unsere Legenden. Die Überlieferung sagt, dass die Klane gleichzeitig mit den ersten menschlichen Zivilisationen entstanden sind, ihr Ursprung ist eng mit der Entwicklung der Schrift verknüpft. Manche sagen, wir wären lebende Symbole. Mach nicht so ein Gesicht, schließlich seid ihr Menschen im Grunde auch nur Symbole – unbedeutende, flüchtige Tätowierungen auf der Haut der Erde. Verknüpfungen von Worten und Bedeutungen.«
Nach einem Seitenblick auf die geschlossene Tür sprach Erik weiter. »Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass die ersten Klane ausgelöscht wurden. Doch irgendwann später lebten sie wieder auf, bevor sie erneut verschwanden. Dieser Kreislauf wiederholt sich permanent. So lange, bis es uns gelingen wird, ihn zu durchbrechen.«
»Und warum ist das so?«, fragte Alex.
Wieder gelang es ihm nicht, Eriks Blick zu deuten.
»Wir haben Feinde«, sagte sein Freund langsam. »Nicht viele, aber sie sind zäh. Und sie werden nicht ruhen, bis sie uns alle ausgerottet haben. Bisher konnten wir uns zwar immer wieder von ihren Angriffen erholen, aber sie haben nach wie vor nur ein Ziel: die Klane ein für alle Mal zu beseitigen.«
Alex’ Kopfkissen war feucht von Schweiß. So schnell konnte er diese vielen Informationen nicht verarbeiten. »Wer denn?«, fragte er. »Menschen?«
Erik machte eine vage Handbewegung. »Wir nennen sie ›Wächter‹«, antwortete er. »Es gibt vier und sie sind uralt. Niemand weiß, seit wann es sie gibt, vielleicht hat es sie schon immer gegeben. Klar ist nur, dass ihre Mission darin besteht, uns auszulöschen, und dass es ihnen schon mehrmals beinahe gelungen wäre. Soweit wir zurückdenken können, haben wir Krieg gegen sie geführt, und leider ist es bis jetzt noch keinem unserer Klane gelungen, unsere Feinde zu besiegen. Ihre Macht ist unvorstellbar groß, sie können sich unsichtbar machen, und wenn sie es nicht wollen, können wir sie nicht erkennen. Und das Wichtigste: Sie sind in der Lage, uns mit einer einzigen Berührung zu töten. Das macht den Kampf schwierig, verstehst du? Wir haben keine Chance gegen sie.«
»Aber trotzdem habt ihr überlebt.«
»Ja. Bis jetzt. Aber vielleicht nicht mehr lange. Es gibt bei uns eine Legende, eine Art Prophezeiung, nach der es noch einen fünften Wächter gibt, einen, der furchtbarer ist als die anderen vier zusammen. Wir nennen ihn den ›Wächter der Worte‹ oder auch einfach den ›Letzten‹. Es heißt, dass die
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