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Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund

Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund

Titel: Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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würde ihm schon erklären, dass das nicht so weiterging. Er war ein Teil von ihnen, das konnte er nicht einfach so leugnen.
    Es war nicht gut, dass er so allein durch die Dunkelheit spazierte. Sie ging an dem Käfer und dem Sportwagen vorbei und registrierte gleichgültig, dass auf den Nummernschildern von Oregon Berge abgebildet waren. Als sie den Cadillac erreichte, der unter der letzten Straßenlaterne stand, zögerte sie kurz angesichts der gähnenden Dunkelheit, die sich jäh dahinter auftat.
    Doch ihr Instinkt trieb sie weiter. Wenn Kaitlyn in jüngster Zeit etwas gelernt hatte, dann, dass sie ihren Instinkten vertrauen konnte. Es war nur alles so verlassen, so düster. Lediglich der Halbmond, der gerade aufging, spendete ein wenig Licht.
    Kaitlyn riss sich zusammen und wagte sich vorsichtig weiter. Der Gehweg ging in eine Wiese über. Das Gelände war leicht abschüssig und führte zu einer
kleinen Baumgruppe. Die Äste der Baumkronen setzten sich von dem etwas helleren Nachthimmel ab.
    Es war sehr still. Kaitlyn bekam eine Gänsehaut, was sie nicht weiter überraschte, da es in Oregon kühler war als in Kalifornien. Es lag ganz einfach an der frischen Nachtluft.
    Aber wo war Gabriel? Kaitlyn ging fast blind auf die Bäume zu, aber Gabriel sah sie dort nicht. Vielleicht führte ihr Instinkt sie diesmal in die Irre.
    Sie nahm sich vor, noch bis zum ersten Baum zu gehen, den sie mittlerweile recht gut erkennen konnte, da sich ihre Augen nach und nach an die Dunkelheit gewöhnten. Dann wollte sie umdrehen. Sie war so weit vom Van entfernt, dass sie Rob, Lewis und Anna nur noch schwach spürte. Eine Verständigung, das wusste sie, wäre jetzt unmöglich.
    Hier bin ich wirklich allein, dachte sie. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir noch haben, wenn wir für uns sein wollen: Wir müssen uns weit genug von den anderen entfernen. Vielleicht ging Gabriel ja deshalb nachts auf Wanderschaft. Um Abstand zu gewinnen.
    Als sie zu dem Baum kam, war sie schon fast sicher, dass sie wieder umkehren würde.
    Doch plötzlich nahm sie mit allen Sinnen gleichzeitig etwas wahr. Mit den Ohren hörte sie eine leise Bewegung und zischendes Atmen. Mit den Augen erkannte sie eine Gestalt, die halb hinter dem Baumstamm
verborgen war. Und mit ihren übersinnlichen Kräften spürte sie eine Störung im Netz, ein Flimmern, so, als befinde sie sich in der Nähe eines elektrisch geladenen Feldes.
    Sie konnte kaum glauben, was sie sah. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie näher heranging, um den Baum herum. Im Mondlicht bot sich ihr ein Bild, das zunächst aussah wie eine romantische Szene aus Romeo und Julia: Ein Junge auf Knien, in den Armen ein Mädchen, dessen Kopf schlaff herabhing. Das Geräusch allerdings, der schnelle, röchelnde Atem, ähnelte mehr einem Tier.
    Auch was Kaitlyn durch das Netz wahrnahm, hatte etwas Animalisches. Es war eine Art Heißhunger.
    Bitte nicht, dachte Kaitlyn. Sie begann zu zittern, und bald erfasste, ausgehend von den Beinen, ein unkontrollierbares Beben ihren Körper. Bitte, Gott, ich will das nicht sehen.
    Doch dann hob der Junge den Kopf, und es ließ sich nicht mehr leugnen.
    Gabriel. Es war Gabriel, und er hielt ein Mädchen in den Armen, das dem Anschein nach bewusstlos war, vielleicht sogar tot. Als er aufblickte, sah er Kait direkt in die Augen.
    Entsetzen stand ihm im Gesicht, und über das Netz war eine Erschütterung zu spüren. Die Mauern, mit denen er sich abgeschottet hatte, stürzten in sich zusammen.
Kait traf ihn unvorbereitet, und plötzlich spürte sie – alles.
    Alles, was er durchmachte. Alles, was er gerade erlebte.
    »Gabriel … «, keuchte sie.
    Hunger, lautete die Antwort. Es hämmerte auf sie ein. Verlangen und Verzweiflung. Ein unerträglicher Schmerz. Und das Mädchen, das er in den Armen hielt, versprach Erleichterung. Kaitlyn erkannte nun, dass das Mädchen nicht tot war, sondern bewusstlos, und dass sie vor Lebensenergie geradezu strotzte. Chi, wie Lewis es nannte.
    »Gabriel«, wiederholte Kaitlyn. Ihre Beine gaben nach, sie würden sie nicht mehr lange tragen. Sie war überwältigt von dem Verlangen, das sie spürte. Seinem Hunger.
    »Hau ab«, fauchte Gabriel sie heiser an.
    Sie war überrascht, dass er überhaupt sprechen konnte. Im Netz war um ihn herum nicht viel Vernunft zu spüren. Was Kait dort wahrnahm, glich nicht sosehr Gabriel als vielmehr einem Hai oder einem hungernden Wolf. Einem verzweifelten, gnadenlosen Jäger, der drauf und dran war, seine

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