Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund
schlug ihr bis zum Hals und nahm ihr den Atem.
Sie wollte schreien, konnte aber nicht. Sie wusste nicht einmal, ob sie wach war oder schlief. Jedenfalls war sie wie gelähmt.
Wenn ich mich nur bewegen könnte, wenn ich mich nur bewegen könnte, dann wüsste ich es. Dann könnte ich sie vertreiben …
Am liebsten hätte sie nach ihnen getreten, nach ihnen geschlagen, um festzustellen, ob sie einen festen Körper hatten. Aber sie konnte nicht einmal das Knie anwinkeln. Die Leute beugten sich von allen Seiten über sie. Besonders merkwürdig war, dass sich die Gestalten, wenn Kaitlyn eine von ihnen ansah, scheinbar auf sie zu bewegten – dabei rührten sie sich nicht vom Fleck. Sie starrten sie an, fixierten sie mit einem Blick, der an Bosheit nicht zu übertreffen war. Und sie schienen sich immer tiefer über sie zu beugen, kamen immer näher heran …
Mit einem kräftigen Ruck gelang es Kaitlyn, einen Arm zu heben. Zumindest kam es ihr vor wie ein kräftiger Ruck, doch vor sich sah sie einen Arm, der sich schwach und fast traumhaft auf die Gestalten zu bewegte. Er fuhr durch eins der schwarz-weißen Gesichter, und sie spürte eine entsetzliche Kälte auf der Haut.
Die Luft war kalt wie im Kühlschrank …
Die Gestalten waren weg.
Kait lag auf dem Rücken und blinzelte. Ihre Augen waren jetzt geöffnet. Sie dachte, sie seien schon eine ganze Weile auf, aber woher sollte sie das wissen? Sie starrte in eine Finsternis, die so schwarz war, als hätte sie die Augen geschlossen. Alles, was sie sah, war die Silhouette ihres Arms, der in der kalten Luft hing.
Kalt. Es war wirklich kalt. Genauso kalt wie am Nachmittag, als Lewis seine Vision gehabt hatte.
Ich glaube nicht, dass es ein Traum war, dachte Kaitlyn. Oder zumindest kein gewöhnlicher Traum.
Aber was dann? Eine Vorahnung? Solche Vorahnungen hatte sie nicht, und Lewis schon gar nicht. Lewis betrieb Telekinese, hatte die Gabe, mit dem Geist Gegenstände zu beeinflussen.
Was immer es gewesen war: Zurück blieb ein schreckliches Gefühl, eine Übelkeit. Ihre innere Unruhe, die Rastlosigkeit machten es zur Tortur, ruhig liegen zu bleiben. Kaitlyn war verkrampft, die Augen schmerzten, Adrenalin schoss ihr durch den Körper.
Rob lag friedlich neben ihr und atmete gleichmäßig. Er war im Tiefschlaf. Kaitlyn wollte ihn nicht wecken. Er brauchte seinen Schlaf. Lewis und Anna schliefen ebenfalls tief und fest, das spürte sie durch das Netz.
Und Gabriel, draußen? Kait schickte ihren Geist auf die Suche.
Entsetzt stellte sie fest, dass er nicht da war. Er war nicht mehr draußen neben dem Van. Sie spürte ihn schwach, weiter weg, konnte ihn aber nicht genau lokalisieren und wusste daher auch nicht, was er tat.
Auch gut. Mit plötzlicher Entschlossenheit stellte Kaitlyn vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, die Beine auf und schob die Decke beiseite. Ganz langsam
setzte sie sich auf und kroch vorsichtig zur Schiebetür des Vans.
Sie quetschte sich an Anna vorbei, die auf ihrer kurzen Bank zusammengerollt dalag, das schwarze Haar wie ein Schleier über dem Gesicht. Lewis hatte den Beifahrersitz so weit zurückgekurbelt, dass sie darunter hindurchlangen musste, um die Tür zu öffnen. Doch endlich klickte es, und die Schiebetür sprang zur Seite.
Kaitlyn spürte, dass die anderen kurz aufschreckten und sich dann wieder entspannten. Leichtfüßig sprang sie aus dem Van und schloss, so leise es ging, die Tür.
Na gut. Sie würde Gabriel schon finden. Ihre Ruhelosigkeit sollte doch zu etwas gut sein. Sie wollte mit ihm reden, ihn mit ihren beunruhigenden Ahnungen konfrontieren, ihn darauf ansprechen, was er getan hatte, als er in der Nacht zuvor verschwunden war. Eine bessere Gelegenheit würde sich nicht sobald ergeben. Die anderen schliefen, und sie und Gabriel wären völlig unter sich. Wenn es Gabriel nicht passte, war es sein Pech. Kaitlyn war angespannt wie eine Feder. Sie würde auch einem Streit nicht aus dem Weg gehen.
Sie sah sich auf dem Parkplatz um. Abgesehen von dem beleuchteten Toilettengebäude war alles dunkel. Es gab außer dem Van noch drei weitere Autos: einen
zerbeulten VW Käfer, einen Sportwagen und einen weißen Cadillac.
Von Gabriel war weit und breit nichts zu sehen. Kaitlyn spürte nicht, wo er war. Sie blickte in die Dunkelheit, zuckte dann die Schultern und machte sich auf den Weg.
Irgendwo musste er ja sein. Abgeschirmt, sodass sie ihn nicht spüren konnte. Es war, als lebte er in einer Festung nur für sich allein. Nun, sie
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