Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
hob die Schultern. Er biss sich auf die Unterlippe. Noch immer sah er aus dem Fenster. »Ich glaube schon.«
»Aber warum?«, fragte Lewis. Rob hörte ihn kaum. Er sah in den blauen Himmel, der milchig wirkte wie Glas. Irgendwo da draußen war Kait …
»Rob!« Lewis schüttelte ihn. »Was hat sie im Institut zu suchen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Rob, der wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte. »Aber sie hat vielleicht eine Ahnung, wie sie Gabriel beeinflussen kann. Vielleicht hat sie auch etwas mit Mr Zetes vor.«
Lewis stieß pfeifend die Luft aus. »Ich dachte …, ich meine, ich dachte, du wolltest sagen …«
Rob blinzelte verwirrt.
»Er dachte, du wolltest sagen, dass Kait zu Gabriel übergelaufen ist«, erläuterte Anna. »Ich weiß natürlich, dass sie das nicht getan hat, aber vielleicht hast du ja so etwas vermutet.«
»Aber nein, so etwas würde sie nie tun«, sagte Rob entsetzt. Manchmal fiel es ihm schwer, andere Leute zu verstehen. Sie waren so schnell dabei, das Schlimmste von anderen anzunehmen, sogar von ihren Freunden. Er wusste es besser. Kaitlyn war nicht fähig, etwas Böses zu tun.
»Sie muss mitten in der Nacht fortgegangen sein«, sagte Lewis. »Glaubt ihr, sie hat das Auto genommen?«
»Das Auto steht vor dem Haus. Ich habe nachgesehen, ehe ich euch aufgeweckt habe«, sagte Anna. »Ich habe keine Ahnung, wie sie da hinkommen will.«
»Sie findet bestimmt einen Weg«, erwiderte Rob. Kaitlyn war wie Seide und Feuer, die einen Kern aus eiserner Entschlossenheit einfassten. »Nein, nein, sie kommt schon hin, wenn sie es wirklich will. Die Frage ist nur: Was tun wir jetzt?«
»Was können wir denn tun?«, fragte Lewis.
Im Haus hörten sie Geräusche. Marisols Eltern wachten auf. Rob spähte in den Flur und sah dann wieder aus dem Fenster.
»Wir müssen irgendwie zu ihr kommen. Sie da wieder rausholen.«
»Sie rausholen«, wiederholte Anna leise. Es war keine Frage, sondern eine Bestätigung.
»Wir müssen«, sagte Rob. »Ich weiß nicht, was sie vorhat, aber es wird nicht funktionieren. Nicht in diesem Irrenhaus. Die Leute da sind gefährlich. Sie werden sie umbringen.«
»Ich wollte mit dir reden«, sagte Kaitlyn und machte einen Schritt auf Gabriel zu.
Sie sah, dass er ihr nicht glaubte.
»Aber es stimmt. Sieh mich an, sieh dir meine Gedanken an. Ich bin hergekommen, um mit dir zu reden, Gabriel.«
Sie ging das Risiko ein. Es stimmte ja auch, und da er ihr soeben das Leben gerettet hatte, war sie aufrichtig froh, ihn zu sehen. So viel durfte er ruhig spüren. Sie
ging jede Wette ein, dass er unter der Oberfläche nicht suchen würde, denn dann würde er ihr so nahe kommen, dass auch sie in seine Gedanken sehen könnte. Sie war sich ziemlich sicher, dass er das nicht wollte.
Er sah sie an, die grauen Augen gegen das Licht zusammengekniffen. Wunderschönes Licht, das tief einfiel, die Häuser um sie her verzauberte und das sogar Gabriel golden und warm wirken ließ. Kaitlyn konnte nur raten, wie sie darin aussah.
Gabriel senkte den Blick. Seine telepathischen Kräfte hatten ihren Geist so leicht gestreift wie der Flügel einer Motte. »Du bist also gekommen, um mit mir zu reden.«
»Ich habe dich vermisst«, sagte Kaitlyn, und auch das stimmte. Sie hatte seinen rasiermesserscharfen Verstand vermisst, seinen spöttischen Humor und seine enorme Kraft, die über das Netz stets zu spüren war. »Ich möchte mich dir anschließen.«
Das war eine so faustdicke Lüge, dass sie erwartete, die Alarmglocken in seinem Kopf losgehen zu hören. Doch er hatte seine mentalen Fühler bereits zurückgezogen und seine Gedanken wieder verschleiert. Er sah sie nicht einmal richtig an.
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte Gabriel mit einer Stimme, die plötzlich schwach klang.
Kaitlyn sah sich im Vorteil und wagte sich weiter vor. »Es stimmt aber. Ich habe es gestern Abend beschlossen. Ich mag Mr Z nicht, aber ich glaube, manches, was
er sagt, stimmt. Wir haben unendliche Möglichkeiten. Wir brauchen nur Raum, Freiheit. Und wir sind anderen Menschen überlegen.«
Gabriel hatte sich offenbar gefasst. »Du lässt dich doch von so etwas nicht beeindrucken.«
»Warum denn nicht? Ich will nicht dauernd auf der Flucht sein. Ich will bei dir sein, und ich will Macht. Was ist daran auszusetzen?«
Sein Mund war hart geworden. »Nichts. Du glaubst es nur nicht.«
»Dann teste mich.« Kaitlyns Herz machte einen Hüpfer. »Gabriel, ich wusste erst, was uns verbindet, als du
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