Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
lief rot an, und Kait machte sich aus dem Staub.
Als sie die Tür ihres Zimmers hinter sich schloss, fragte sie sich, was über sie gekommen war.
War sie verrückt geworden? Nein, natürlich nicht, es war der Kristall. Joyce hatte ihr ein großes Stück auf die Stirn geklebt, und das hatte dafür gesorgt, dass sich Kaitlyn aufführte wie die paranormalen Psychopathen, von denen sie umgeben war.
Und ich muss schon vorher ziemlich verrückt gewesen sein, denn viel hat es wahrlich nicht gebraucht, dachte Kaitlyn. Vielleicht waren Bri und die anderen ursprünglich erheblich vernünftiger gewesen als ich. Ich wünschte, ich hätte sie vorher gekannt …
Sie stieß die Luft aus und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie hatte vor Wut gekocht, und es war ihr völlig egal gewesen, welche Folgen ihr Handeln hatte. Sie hätte Frost, ohne mit der Wimper zu zucken, die Augen ausgekratzt.
Na ja, so verrückt war das vielleicht auch nicht. Immerhin …
Kaitlyn ließ sich aufs Bett plumpsen. Sie versuchte,
sich einzureden, dass ihr Gabriel völlig egal war, aber wenn das stimmte, warum war sie dann dermaßen wütend auf Frost gewesen?
Und Gabriel hat sich nicht gerade für mich eingesetzt, dachte sie. Wahrscheinlich hatte er seine Freude daran, wie sie aufeinander losgingen.
Kaitlyn rieb sich die pochende Stirn. Sie wünschte, sie könnte nach draußen gehen und sich einfach unter einen Baum legen. Sie brauchte frische Luft. Gelangweilt spielte sie mit den beiden Papierknäueln herum.
Als sich die Tür öffnete, blickte Kaitlyn auf.
»Kann ich reinkommen? Meine Reitstunde ist ausgefallen. « Lydia klang deprimiert.
»Das ist dein Zimmer«, erwiderte Kaitlyn.
Sie rollte die beiden Papierkugeln gegeneinander. Sie hatte sie mitgenommen, damit Frost sie nicht aus dem Papierkorb fischte und sich darüber lustig machte – aber war das der einzige Grund gewesen? Sie fragte sich mittlerweile, ob sich nicht auch eine Art Überlebensinstinkt eingeschaltet hatte.
Keine ihrer Zeichnungen war je völlig nutzlos gewesen. Vielleicht hob sie die beiden Zettel besser auf.
»Was ist denn los?«, fragte Lydia.
Kait runzelte die Stirn. Ausgerechnet in diesem Moment wollte Lydia mit ihr Smalltalk machen? »Ich habe Kopfschmerzen«, sagte sie kurz angebunden und stopfte die Papierknäuel in eine Schublade.
Dann erinnerte sie sich an das Versprechen, das sie Lewis gegeben hatte. Sie sah Lydia von der Seite an.
Lydia war kleiner als sie und sah in ihrer braunen Reitkleidung recht adrett aus. Das schwere dunkle Haar hatte sie aus dem zarten blassen Gesicht gekämmt, sodass ihre grünen Augen deutlich hervorstachen. Sie war adrett, reich – und unglücklich.
»Hast du eigentlich einen Freund?«, fragte Kait unvermittelt.
»Hä? Nein.« Lydia zögerte. Dann fügte sie hinzu: »Ich interessiere mich nicht für Gabriel, wenn du das meinst.«
»Nein, das meinte ich nicht.« Kait wollte nicht an Gabriel erinnert werden. »Ich habe an Lewis gedacht. Ist er dir eigentlich nie aufgefallen?«
Lydia sah sie überrascht und fast ängstlich an. »Lewis! Du meinst Lewis Chao?«
»Nein, ich meine ›Louis und Clark‹. Natürlich meine ich Lewis Chao. Was hältst du von ihm?«
»Na ja, er war nett zu mir. Auch, als ihr anderen fies wart.«
»Ich glaube, er findet dich auch nett. Und ich habe zu ihm gesagt …« Kaitlyn biss sich auf die Zunge. Oh Gott, diese Kopfschmerzen raubten ihr den Verstand. Fast hätte sie verraten, dass sie Lewis gestern versprochen hatte, mit Lydia zu reden. Verzweifelt versuchte sie, den Satz anders zu Ende zu bringen.
»Ich habe ihm gesagt, dass du dich wahrscheinlich für zu gut hältst. Dass du ihn auslachen würdest. Aber das ist ja alles so lange her«, brachte Kaitlyn ihr sinnloses Geschwafel zu Ende.
Lydias Augen schienen dunkler zu werden. »Ich würde ihn niemals auslachen. Ich mag nette Jungs«, sagte sie. »Aber ich finde nicht, dass du besonders nett bist. Du wirst schon genauso wie sie«, fügte sie hinzu, ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Kaitlyn lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes. Sie war einfach nicht die geborene Spionin.
Und sie war sich selbst fremd. Eines war klar: Sie durfte es nicht zulassen, dass Joyce sie noch einmal mit dem Kristall in Berührung brachte. Er war daran schuld, dass sie die Kontrolle über sich verlor. Wenn das öfter vorkam, konnte noch alles Mögliche passieren.
Und noch etwas anderes war klar. Kaitlyn konnte sich mit ihren Kräften
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