Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
tun. Timon ist gestorben, LeShan ist gestorben und Mereniang ist gestorben, und wenn niemand etwas dagegen unternimmt, werden noch mehr Menschen sterben. Ich muss versuchen, dem ein Ende zu setzen.«
Rob nickte bedächtig. Er schluckte und sagte: »Ich verstehe. Aber wenn dir etwas zustößt …«
»Wenn mir etwas zustößt, dann weiß ich zumindest, dass es meine Entscheidung war. Ich habe es getan, weil ich es so wollte. Du hast damit überhaupt nichts zu tun … Verstehst du das?«
Anna weinte. Lewis schluckte schwer.
Und Rob schien so entsetzt zu sein, dass er nachgab. Er blickte Anna an, als sei sie seine letzte Hoffnung.
Anna blinzelte die Tränen weg. Ihr Gesichtsausdruck war mitleidig, traurig – und gefasst. Zu gefasst, als dass einfach nur Resignation dahinterstecken konnte.
»Kait hat recht«, sagte sie. »Wenn sie sagt, sie geht, dann wird sie gehen. Du kannst das nicht für sie entscheiden. Niemand kann anderen die Entscheidung abnehmen. «
Rob wandte sich wieder Kait zu, ganz langsam, und da wusste sie, dass er sie zum ersten Mal als gleichwertige Partnerin betrachtete. Gleichwertig nicht nur, was
den Verstand, die übersinnlichen Kräfte oder ihre Leistungsfähigkeit anging, sondern auch in jeder anderen Hinsicht. Sie hatte dasselbe Recht, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, wie er.
Sie waren gleichwertig und eigenständig. Es war, als spalteten sie sich in diesem Moment auf, als würden sie zwei unabhängige Geschöpfe. Wenn Rob in ihrer Beziehung je einen Fehler begangen hatte, so war es der gewesen, dass er meinte, sie beschützen zu müssen. Und Kaitlyn hatte das bestärkt, indem sie sich für schutzbedürftig gehalten hatte. Doch plötzlich merkten sie beide, dass dem nicht so war.
Kaitlyn war in den vergangenen Minuten in Robs Augen gewachsen. Robs Respekt war gestiegen. Er liebte sie sogar stärker als zuvor – nur anders.
Trotzdem fiel es ihm noch schwer, sie wirklich gehen und das Risiko auf sich nehmen zu lassen. Er unternahm einen letzten Versuch, nicht sehr nachdrücklich, aber eindringlich.
»Weißt du, ich habe mich gefragt, ob wir nicht noch ein bisschen warten sollten, bis wir den Kristallsplitter einsetzen. Er hat Marisol geheilt, weißt du. Du hast das nicht gesehen, Kait, aber es war fantastisch. Und in dem Krankenhaus sind noch so viele, die Hilfe brauchen. Ich habe irgendwie gehofft …« Er zuckte mit den Schultern, einen sehnsüchtigen Ausdruck auf dem Gesicht.
Kaitlyn war tief berührt. Doch ehe sie etwas sagen konnte, ergriff Anna das Wort. Sie wirkte noch teilnahmsvoller
als zuvor, noch trauriger, aber dennoch entschieden.
»Nein, Rob«, sagte sie. »Genau das können wir nicht tun. Er gehört uns nicht, er ist nur eine Leihgabe. Timon hat ihn uns gegeben, um den Kristall zu zerstören. Wir können nicht einfach durch die Gegend ziehen und uns einer Kraft bedienen, die uns eigentlich nicht zusteht. Das wäre gar nicht gut.«
Sie legte Rob sanft die Hand auf die Schulter. »Du hast selber Kräfte in dir, mit denen du Menschen helfen kannst – das muss dir reichen. Du wirst deine Chance bekommen, Rob.«
Rob starrte sie einen Moment an. Dann nickte er. Er sah von ihr zu Kaitlyn, und durch das Netz erhaschte Kait eine Ahnung von seinen Gedanken. Er stand da, zwischen zwei weitsichtigen jungen Frauen, und das beeindruckte ihn, verwirrte ihn aber auch ein wenig. Er fragte sich wohl, woher sie ihre Weisheit nahmen – während er immer noch so naiv war.
Und er kam zu dem Schluss, dass ihm nichts anderes übrig blieb als einzuwilligen.
»Dann ist es abgemacht«, erklärte Kaitlyn. »Ich nehme den Splitter mit ins Institut, und ihr kehrt in die Wohnung von Tonys Freund zurück.«
»Tamsin wartet dort auf uns«, sagte Anna. »Wir erzählen ihr, was du vorhast. Sie wird dir die Daumen drücken, Kait, und Marisol sicher auch.«
Kaitlyn war froh, dass sich ein normales Gesprächsthema eröffnete, denn sie fürchtete, dass sie jede Minute in Tränen ausbrechen würde. »Geht es Marisol denn schon wieder so gut?«
»Sie ist noch im Krankenhaus, weil sie völlig entkräftet ist. Aber Tony sagt, sie wird schon in ein paar Tagen entlassen. Ach, Kait, ich wünschte, du hättest sein Gesicht sehen können, als er uns besucht hat! Und seine Eltern haben angerufen und sind aus dem Bedanken gar nicht mehr herausgekommen.«
»Tony sagt, er wird eine Kerze für dich anzünden«, warf Lewis ein. »Du weißt schon, in der Kirche. Rob hat ihm erzählt, dass du in Gefahr
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