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Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Titel: Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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sich, als er ihrem Blick begegnete – als hätte sie ihn erschreckt. Doch sofort riss er sich zusammen.
    »Ich habe es als Notwehr bezeichnet, aber der Richter war anderer Meinung«, sagte er. Seine Augen waren jetzt eiskalt.

    Kaitlyn entspannte sich. »Notwehr.«
    Gabriel sah sie lange an und wendete dann den Blick ab. »Das andere war natürlich keine Notwehr. Beim ersten Mal.«
    Er versucht mir Angst einzujagen, sagte sich Kaitlyn.
    Und es gelingt ihm, flüsterte es tief in ihrem Innern.
    »Ich gehe jetzt besser«, sagte sie.
    Er war wieselflink. Sie saß zwar näher an der Tür, doch ehe sie sie erreichen konnte, war er schon dort und versperrte ihr den Weg.
    »Nicht doch«, sagte er. »Willst du es denn nicht genau wissen?«
    Fast war es, als blickten seine dunkelgrauen Augen geradewegs durch sie hindurch. Noch standen Hohn und Spott auf seinem Gesicht, doch damit schien er nur eine unerträgliche Anspannung zu überdecken. Kait sah seine zusammengebissenen Zähne hinter den leicht geöffneten Lippen.
    »Hör auf, Gabriel«, sagte sie. »Ich gehe jetzt.«
    »Sei nicht so schüchtern.«
    »Ich bin nicht schüchtern, du Idiot«, fauchte sie. »Ich habe nur die Nase voll von dir.« Sie versuchte, an ihm vorbeizukommen, aber er ließ sie nicht. Sie rangelten miteinander.
    Aber er war natürlich viel stärker als sie.
    Du dumme Gans, dachte sie und versuchte, ihre
Hand freizubekommen, um ihm eine zu verpassen. Was hatte sie nur dazu veranlasst, sich in so eine Lage zu manövrieren? Ihr Herz ging wie ein Presslufthammer, und sie hatte das Gefühl, als würde ihr Brustkorb gleich platzen. Wenn sie jetzt schrie, würde er sie dann würgen? Hatte er das auch mit den anderen getan?
    Vielleicht hatte er auch ein Messer benutzt. Oder war es doch etwas viel Schlimmeres gewesen?
    Sie und Gabriel rangen lautlos, die Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Kaitlyns Gedanken waren erfüllt mit düsteren Bildern von seinen Morden.
    Und dann …
    Dann war alles vorbei. Kaitlyns Fantasien verschwanden, als hätte jemand in ihrem Innern eine Tür zugeschlagen. Und das alles nur wegen des Blicks in Gabriels Augen.
    Sie entdeckte Trauer. Gewissensbisse auch, vor allem aber Trauer. Es war die Art Trauer, die Kaitlyn kannte, bei der man sich schmerzhaft auf die Lippen beißt, um nur keinen Laut von sich zu geben. Kaitlyn erinnerte sich noch gut daran, wie es war, damals, mit acht Jahren, als ihre Mutter starb.
    Der hübsche, arrogante Gabriel, der mit den gebleckten Zähnen, versuchte jetzt, die Tränen zurückzuhalten.
    Kaitlyn stellte ihre Gegenwehr ein und merkte im
selben Augenblick, dass er ihr nicht wehgetan hatte. Er hatte sie abgewehrt, sie zurückgehalten, aber er hatte sie nicht verletzt.
    »Okay«, sagte sie. Ihre Stimme schien in der Stille widerzuhallen. »Dann erzähl es mir.«
    Das traf ihn unvorbereitet. Einen Augenblick wirkte er geschockt und verletzlich.
    Dann verhärtete sich sein Gesicht. Er nahm es als Herausforderung.
    »Na gut«, fauchte er. Er ließ sie los und trat einen Schritt zur Seite. Sein Brustkorb hob und senkte sich schwer.
    »Ihr habt euch alle gefragt, was ich eigentlich hier zu suchen habe, stimmt’s?«, sagte er.
    »Ja«, sagte Kait. Sie ging vorsichtig von der Tür weg. »Überrascht dich das?«
    »Nein.« Er lachte. Es war ein bitteres Lachen. »Das will ja jeder wissen. Aber wenn es die Leute dann erfahren, dann gefällt es ihnen nicht.« Er drehte sich um und sah sie mit gespielter Verwirrung an. »Ich glaube, sie haben Angst vor mir – weiß gar nicht, warum.«
    Kaitlyn lächelte nicht. »Ich weiß, wie das ist«, sagte sie mit gesenktem Blick. »Wenn die Leute Angst vor einem haben. Wenn sie einem nicht in die Augen sehen können und wenn sie sich davonschleichen, sobald man nur in ihre Nähe kommt.« Sie blickte zu ihm auf.

    In seinen Augen flackerte etwas, doch dann schüttelte er den Kopf und wendete sich ab. »Du hast ja keine Ahnung, wie das ist, wenn die Angst zu Hass wird. Wenn sie dir den Tod wünschen, weil sie befürchten, du könntest …«
    »Was?«
    »Ihre Gedanken lesen. Ihnen die Seele stehlen. Such es dir aus.«
    Es folgte eine Stille. Kaitlyn lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie war fassungslos – und spürte die Angst auch.
    »Das machst du also?«, flüsterte sie kaum hörbar.
    »Nein.« Der kalte Knoten in Kaitlyns Magen lockerte sich ein wenig, bis er sich umdrehte und sie mit den Augen eines Wahnsinnigen ansah. »So einfach ist es nicht. Willst du

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