Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe
Laboratorien am Institut vorgestellt hatte. Weiße Wände, weiße Fliesen, alle Oberflächen makellos sauber und steril. An den Wänden standen ihr gänzlich unbekannte Geräte und ein großer Maschendrahtkäfig.
Kaum hatte Kaitlyn das alles erfasst, blieb ihr Blick an dem Ding in der Mitte des Raums hängen — und alles andere war nebensächlich.
Es war … ja, was eigentlich? Eine Steinpflanze? Eine Skulptur? Das Modell eines Raumschiffs? Sie wusste es nicht. Es zog ihren Blick magisch an und hielt ihn fest, so, wie es ein wunderschönes Gemälde tut. Nur dass es nicht schön war – es war grauenvoll.
Und es erinnerte Kaitlyn an etwas.
Es war hoch, milchig durchscheinend – und an dieser Stelle hätte sie daraufkommen müssen. Doch sie konnte ihren ersten Eindruck, dass es sich um das haarsträubende Zerrbild einer Pflanze handelte, nicht abschütteln, auch, als ihr klar wurde, dass es nichts Lebendiges sein konnte.
Es war überzogen mit — ja, was eigentlich? Parasiten, dachte Kait hektisch. Dann erkannte sie plötzlich, dass es Wucherungen waren, kleine Kristalle, die aus einem riesigen Mutterkristall wucherten. Sie standen in alle Richtungen ab wie die Strahlen eines Weihnachtssterns. Doch die Wirkung war alles andere als festlich. Es wirkte geradezu ekelerregend.
»Mein Gott – was ist das?«, flüsterte Kaitlyn.
Mr. Zetes lächelte.
»Du spürst seine Macht«, sagte er anerkennend. »Gut. Du hast recht; es kann schrecklich sein. Aber es kann auch sehr nützlich sein.«
Er stellte sich neben das … Ding, die Hunde immer bei sich. Er sah es bewundernd an — habgierig, dachte Kaitlyn.
»Das ist ein sehr alter Kristall«, sagte er, »und wenn ich euch verraten würde, wo er herkommt, würdet ihr es mir nicht glauben. Aber er wird euch faszinieren, das kann ich euch versprechen. Er birgt Energiemengen in sich, die eure Vorstellung bei Weitem übersteigen. «
»Hat er mit der Ausbildung zu tun, die Sie erwähnt haben?«, fragte Gabriel.
»Er dient dieser Ausbildung«, sagte Mr. Zetes leise, fast abwesend. Noch immer ruhte sein Blick auf dem Kristall. »Er schärft eure Kräfte, verstärkt sie. Man muss schrittweise vorgehen, damit er keinen Schaden anrichtet, aber wir haben ja Zeit.«
»Das Ding hier kann unsere Kräfte verstärken?«, sagte Gabriel spöttisch und ungläubig.
»Kristalle können übernatürliche Energie speichern«, sagte Kaitlyn leise. Ihre Stimme klang selbst für sie schwach und fern. Sie kam sich vor wie in einem Albtraum.
Mr. Zetes sah sie an. »Das weißt du?«, sagte er.
»Ich … habe es irgendwo gehört.«
Er nickte und sagte, Kaitlyn noch immer fest im Blick: »Ihr beide verfügt über das Potenzial, und dieser Kristall hat die Macht, euer Potenzial zu entwickeln. Und ich habe …« Er hielt inne, als müsse er über die richtige Formulierung nachdenken.
»Was haben Sie?«, fragte Gabriel.
Mr. Zetes lächelte. »Die Kontakte«, erwiderte er. »Die … Kunden, wenn ihr so wollt. Ich kann die Leute auftreiben, die bereit sind, erhebliche Summen für eure Dienste zu bezahlen. Summen, die natürlich umso größer werden, je vollkommener eure Kräfte sind.«
Kunden, dachte Kaitlyn. Richterin Baldwins Brief. Eine Liste möglicher Kunden.
»Sie wollen uns vermitteln?«, platzte es aus ihr heraus. »Wie … wie …« Sie war so überwältigt, dass ihr kein Vergleich einfiel.
Gabriel schon. »Wie Auftragsmörder«, schlug er vor. Sein Tonfall jagte Kaitlyn kalte Schauer über den Rücken, denn er klang alles andere als empört oder gar wütend. Gabriel klang vollkommen ruhig, ja, nachdenklich.
»Durchaus nicht«, sagte Mr. Zetes. »Ich glaube, mit Auftragsmorden hat das ziemlich wenig zu tun. Aber es könnten sich geschäftliche Situationen ergeben, in denen eure Talente von unschätzbarem Wert wären. Unternehmens- und Industriespionage, die Beeinflussung von Zeugen in Gerichtsverfahren. Nein, ich würde es vorziehen, euch als paranormales Einsatzkommando zu bezeichnen, das in allen möglichen schwierigen Situationen aktiv wird.«
Einsatzkommando. Projekt Schwarzer Blitz, dachte Kaitlyn. Die Worte, die jemand auf den Zettel gekritzelt
hatte. Er wollte so etwas wie eine übersinnliche Geheimtruppe für die Drecksarbeit aus ihnen machen.
»Ich wollte euch das eigentlich nicht so bald erzählen«, fuhr Mr. Zetes fort. »Aber mittlerweile ist etwas geschehen. Ihr wisst ja, Marisol Diaz. Nun, mit Marisols Familie hat es einige Schwierigkeiten gegeben. Mehrere
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