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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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reinkommen?«
    Asher grinste. »Ich dachte
schon, du fragst nie.«
    Der Rest verlief
ziemlich schmerzfrei. In meinem Garderobenschrank befand sich sogar noch ein
zusätzlicher Klappstuhl. Das Essen meiner Mutter war wie immer vorzüglich,
Peter dozierte über diverse Themen und Jake hielt sich bedeckt. Inzwischen war
er clean – das sah man auf den ersten Blick –, aber während seiner Junkiezeit
hatte er die Fähigkeit entwickelt, fast wie ein Vampir die Aufmerksamkeit von
sich abzulenken. Niemand fragte mich nach meiner Arbeit – bei uns
Krankenschwestern verloren die Leute sowieso immer schnell das Interesse an dem
Thema. Die meisten Menschen reden eben nicht gerne über Urin, Blut oder
Exkremente. Außerdem fand Mom meine frisch erblühte »Beziehung« mit Kevin und
die gähnende Leere in meiner Gebärmutter viel spannender.
    Â»Edie war die Karriere einfach
immer sehr wichtig, Kevin«, erklärte meine Mutter entschuldigend. »Aber ich bin
mir sicher, wenn sie den Richtigen trifft, wird sie schon zur Ruhe kommen. Sie
könnte sich einen normalen Job suchen – es gibt schließlich auch
Krankenschwestern, die tagsüber arbeiten. So wie meine Freundin Frances – ihre
Klinik bietet sogar Kinderbetreuung an. Das hat sie mir erst vor ein paar
Monaten erzählt, als wir uns in der Kirche begegnet sind. Gehen Sie eigentlich
in die Kirche, Kevin?«
    Asher schaffte es wesentlich
problemloser, auf einen fremden Namen zu reagieren, als ich es gekonnt hätte.
Ich fragte mich, ob vielleicht zusätzlich zu den Gestalten, die er annehmen
konnte, ein Namenskärtchen zum Spicken enthalten war. Ich freute mich
jedenfalls, dass das endlose Geschnatter meiner Mutter selbst ihn aus der Bahn
werfen konnte. Während er schmerzerfüllt schluckte, so als hätte das
Kartoffelpüree in seiner Kehle scharfe Kanten entwickelt, schenkte ich ihm quer
über den Tisch ein boshaftes Lächeln.
    Â»Nun ja, Mrs. Spence …«, setzte
er an.
    Â»Grinder«, korrigierte ihn
Peter, nicht aus Wut, sondern weil er einfach nicht anders konnte.
    Â»Mrs. Grinder«, begann Asher
erneut. »Ich war schon ziemlich lange nicht mehr in der Kirche. Aber
aufgewachsen bin ich – auch wenn das seltsam klingt – halb katholisch, halb als
Anhänger der Pfingstkirche.«
    Â»Tatsächlich?«
    Â»Tatsächlich. Im Sommer war ich
immer bei meiner katholischen Großmutter, aber die Familie meines Vaters hatte
sich sozusagen ganz dem Heiligen Geist verschrieben.«
    Irgendwie hatte ich da so meine
Zweifel. Sicher, irgendeiner von denen, dessen Genabdruck er aufgenommen hatte,
war wahrscheinlich früher einmal zur Kirche gegangen, aber … Meine Mutter sah
ihn so eindringlich an, als würde sie ihn vermessen, dann musterte sie mein
übermüdetes Gesicht. »Nun ja. Solange Sie sich überhaupt einer Religion
verpflichtet fühlen …« Anscheinend konnte sie es sich zu einem so späten
Zeitpunkt im großen Babyspiel nicht mehr leisten, besonders wählerisch zu sein
– immerhin war ich ja schon fast fünfundzwanzig und näherte mich mit großen
Schritten der dreißig.
    Jakes Handy klingelte, und er
entschuldigte sich, bevor er das Gespräch annahm.
    Alle am Tisch hielten den Atem
an – oder zumindest diejenigen, die direkt mit mir verwandt waren. Wer rief
denn schon an Weihnachten an? Entweder Familienmitglieder – aber ich wusste,
dass Jake genau wie ich erst später unseren richtigen Vater anrufen würde –
oder Junkies, die keine Grenzen kannten, wenn es darum ging, high zu werden.
    Meine Mutter warf mir einen
finsteren Blick zu. In ihren Augen sollte ich jeden Monat Jakes Telefonrechnung
prüfen, die Anrufe zurückverfolgen und sicherstellen, dass jeder Einzelne von
ihnen harmlos war. Dumm nur, dass ich weder Lust noch Zeit dafür hatte. Trotz
allem, was ich in der Vergangenheit getan hatte, war ich nicht die Aufpasserin
meines Bruders. Solange seine Minutenzahl ein gewisses Maß nicht überschritt,
konnte er meinetwegen den Dalai Lama anrufen. Das würde meiner evangelischen
Mutter allerdings noch viel weniger gefallen.
    Â»Nein, komm du hierher.
Wirklich. Hier sind auch noch andere Gäste«, hörten wir Jake im Schlafzimmer
sagen.
    Asher schaute von einem zum
anderen und fragte sich bestimmt, worauf wir alle warteten. O Gott, was, wenn
er Jake berührte und hinterher wie

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