Vita Nuova
jetzt besser auch nach Hause«, erklärte der Maresciallo. »Sie ist in guten Händen.«
Der Mann antwortete nicht, sah den Maresciallo nicht einmal an. Seine Unterlippe hing unkontrolliert nach unten und legte offen, dass er nur noch einen Schneidezahn besaß. Offensichtlich war er völlig weggetreten. ›Drogen oder Alkohol?‹, überlegte Guarnaccia.
Wie zur Antwort schoss plötzlich ein dunkelroter, alkoholisch riechender Strahl aus dem Mund des Mannes auf den Bürgersteig und spritzte auf die beigefarbenen Hosenbeine des Maresciallo.
Auch das rührte den Mann nicht im Geringsten, kein Wort der Entschuldigung kam über seine Lippen, er blieb einfach wie angewurzelt da stehen, als wäre überhaupt nichts passiert. Der Maresciallo gab auf, ging zurück über die Straße und ging den leeren Vorplatz zum Palazzo Pitti hinauf. Oben drehte er sich noch einmal nach dem dicken Mann um. Tatsächlich, er stand noch immer in dem schummrigen Eingang der Bank, er konnte seine Silhouette zweifelsfrei erkennen.
Wie entfernte man Rotweinflecken aus einer beigefarbenen Hose? Guarnaccia hatte keine Ahnung. Außerdem war er in Gedanken bereits mit etwas ganz anderem beschäftigt. Statt sich sofort umzuziehen, ging er zuerst in die Wache und warf einen Blick in den leeren Warteraum. Gegenüber befanden sich die beiden Zellen, deren cremefarbene Türen mit einem dicken Riegel gesichert wurden. Lange her, dass sie hier jemand in Verwahrung nehmen mussten.
»Ja … das war’s …!«
Vor Jahren, dieser Mann, Forbes. Unangenehmer Job, hatte sich in jener Nacht in der Zelle die Seele aus dem Leib gekotzt, literweise billigen, roten Fusel. Das war’s! Der Geruch nach Alkohol und Erbrochenem hatte diese unangenehme Erinnerung wieder wachgerufen. Alkohol und Erbrochenes, aufgewischt, aber noch immer der Geruch in der Luft, das hatte er in dieser schicken Kellerküche in der Villa wahrgenommen, ganz schwach nur, aber doch eindeutig. Deshalb also war die Mutter zu benommen, um die Nachricht vom Tod ihrer Tochter wirklich zu begreifen. Darum stand ihr der Schweiß auf der Stirn, die glasigen Augen … ein gewaltiger Brummschädel … und nach allem, was Nesti ihm erzählt hatte, überraschte ihn das nicht einmal.
Ein drückend heißer Nachmittag. Da sie die Bauarbeiter weggeschickt hatten, unterbrach nicht einmal der Zementmischer die Stille. Der Maresciallo drückte im Schatten des Hauseingangs auf die Klingel. Eine junge Frau öffnete ihm. Blondes, beinahe schon weißes, zurückgebundenes Haar, Jeans, ein billig aussehendes T-Shirt. Er folgte ihr in die Küche. Wer diese Familie kennenlernen wollte, musste sich ihrem Tageslauf anpassen. Um diese Zeit sollten die beiden Mädchen da sein, die sich um den Haushalt kümmerten. Der Maresciallo war bereit, einiges darauf zu wetten, dass dies nur der Job war, dem sie am Tage nachgingen. Die Dame des Hauses sollte jetzt wohl aufgestanden, gewaschen und in einem Zustand sein, der eine Unterhaltung ermöglichte, sofern sie sich dazu bereit erklärte.
Offenbar lag er mit seiner Einschätzung nicht völlig daneben. Die Frau saß an dem großen Glastisch, eine Tasse und einen Teller mit den Resten einer trockenen Toastbrotscheibe vor sich. Angezogen war sie allerdings noch nicht, sie trug noch immer das Nachthemd, über das sie irgendwas drübergezogen hatte.
»Tut mir wirklich leid, dass ich Sie noch mal stören muss, aber …«
Als er sich zu ihr setzte, hielt ihn ein warmer, heftiger Schlaf- und Schweißgeruch, vermischt mit einer leichten, Alkoholfahne, auf Abstand.
»Vielleicht … eine Tasse Kaffee …« Unsicher blickte die Frau vom Maresciallo zu dem Mädchen.
»Für mich nicht, vielen Dank, Signora. Ich habe unterwegs bereits eine Tasse getrunken.«
Das war gelogen, aber Guarnaccia zog es vor, hier nichts zu sich nehmen, nicht einmal ein Glas Wasser. Ganz automatisch hielt er den Atem wieder so flach wie möglich.
»Ich mach dann mal weiter«, erklärte das Mädchen zögernd. Da niemand sie zurückhielt, verschwand sie durch die offen stehende Tür in den Raum nebenan. Ihr Zimmer? Hatte sie ihn von einem der vergitterten Fenster aus an jenem Morgen beobachtet, oder war es die andere gewesen?
»Ich habe von Ihrer Tochter erfahren, dass jetzt jemand ständig hier bei Ihnen bleibt. Darüber bin ich sehr froh. Ist das die junge Frau, die gerade hinausgegangen ist? Wie heißt sie noch?«
»Danuta.«
»Schläft Danuta jetzt hier? Hilft sie mit dem Kleinen?«
»Ich weiß nicht,
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