Vita Nuova
reine Routine, so nennen Sie das doch für gewöhnlich, nicht wahr? Danuta!«
Zweifellos hatte das Mädchen oben an der Treppe gelauscht und kam nun eilig die Stufen herunter.
»Hol deine Papiere, Ausweis, Arbeitserlaubnis, alles.«
Die junge Frau eilte wieder nach oben und kam mit den verlangten Dokumenten zurück. Sie ließ Paoletti keine Sekunde aus den Augen, schien wie ein eifriges Hündchen nur darauf zu warten, seinem nächsten Befehl unverzüglich nachkommen zu dürfen.
»Setz dich hierher, und beantworte die Fragen des Maresciallo – ihr Italienisch ist nicht gerade erstklassig, aber es wird schon gehen. Ich lasse Sie dann mal allein.«
Das konnte Paoletti sich offensichtlich erlauben. Er wusste, dass ihm gehorcht wurde, dafür bedurfte es nicht seiner Anwesenheit im Raum.
Selbstverständlich waren die Papiere einwandfrei. Während Guarnaccia sie durchsah, lauschte er Paolettis Schritten auf der Treppe. Nur eine ganz kleine Unregelmäßigkeit im Schritt.
»Tomaszòw. Wo ist das? Bei Warschau?«
»Nein, das ist im Südosten von Polen, in der Nähe der ukrainischen Grenze.«
»Haben Sie Heimweh?«
»Es war kalt dort.«
»Dann werden Sie sich wohl nicht über die Hitze hier im August beschweren?«
Er stellte ihr keine richtigen Fragen, hielt sie einfach nur am Reden, wie viele Geschwister sie habe, ob sie eines Tages wieder zurückwolle und so weiter. Paoletti wollte mit dieser Aktion nur nachdrücklich demonstrieren, dass seine Unternehmungen auf dem Papier alle einwandfrei dastanden. Die erste Runde ging klar an ihn, dennoch empfand der Maresciallo seinen Besuch in der Villa nicht als Zeitverschwendung. Als Danuta sich erhob, um sich von ihm zu verabschieden, brach er kurzerhand die Regel und legte dem verängstigten Kind tröstend die Hand auf den Kopf.
»Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden keinen Ärger bekommen, Sie nicht und Frida auch nicht. Ist sie hier?«
»Sie bringt Piero zu Bett.«
»Wo?«
»Oben im Erdgeschoss. Sie schlafen jetzt beide dort.«
Danuta war nicht hübsch, sah mitgenommen und ein wenig verbraucht aus. Das Haar, extrem blond, fast schon weiß, hatte sie mit einem farbigen Gummiband zurückgebunden wie kleine Mädchen es mögen.
Der Maresciallo ging hinauf ins Erdgeschoss. Er dachte nicht daran, Frida zu suchen. Ihre Papiere waren mit Sicherheit ebenfalls in Ordnung, doch es war anzunehmen, dass Paoletti diese unter Verschluss hielt.
Als er auf dem Weg durch die Eingangshalle Stimmen hörte, ging er ein wenig langsamer. Eine Tür zu seiner Rechten stand offen, und er erhaschte einen Blick auf eine eindrucksvolle Bibliothek und auf Silvana, die mitten im Raum stand, sich drehte und dann über die Schulter einen Blick zurückwarf, den Saum ihres Kleides zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Fürs Büro …«
»Es ist zu kurz. Du machst dich lächerlich.«
Silvana stürmte aus dem Zimmer und prallte auf den Maresciallo, mit einem Gesicht als wolle sie gleich in Tränen ausbrechen.
Der Maresciallo hüstelte. Paoletti erschien in der Tür und schloss sie hinter sich.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, danke. Ich möchte Sie nun wirklich nicht länger von Ihrem Abendessen abhalten.«
»Ich hoffe, Sie können meiner Frau noch einmal verzeihen … Sie können sich vorstellen, was sie durchmachen muss …«
»Aber natürlich. Machen Sie sich bitte keine Gedanken. Das ist keine dringende Sache. Sie müssen sich jetzt erst einmal darauf konzentrieren, selbst wieder ganz gesund zu werden. Ihre Familie braucht Sie.«
5
Den brauchen die so dringend wie ’n Loch im Kopf«, kommentierte Nesti. Er hatte in der Dunkelheit neben dem vergitterten Zeitungskiosk auf den Maresciallo gewartet, im eleganten grauen Leinenanzug und mit einer Zigarette im Mundwinkel. »Hoffentlich taucht der Mann nicht ausgerechnet heute Abend im Club auf.«
»Nein, nein, keine Sorge. Der Maresciallo dort hat gemeint, dass er nur sehr selten in den Club kommt, und außerdem ist er noch nicht ganz wieder auf der Höhe. Eigentlich sollte er noch im Krankenhaus liegen, hat die Ärzte aber überredet, ihn auf seine eigene Verantwortung zu entlassen.«
»Na, da wollen wir mal aufs Beste hoffen. O Gott, ich hasse Florenz im August.«
Nicht ein Auto fuhr durch den großen Kreisel an der Porta Romana, und der leere Asphaltstreifen um die kräftige weiße Statue wirkte in seiner stillen Einsamkeit fast schon unheimlich.
»Elf Monate im Jahr kriegt man vor lauter Abgasen keine Luft, und jetzt kriegt man
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