Vita Nuova
die sich wusch. Guarnaccia fühlte sich nicht nur todmüde, sondern inmitten all dieser kostspieligen Eleganz auch völlig fehl am Platze. Ein Elefant im Porzellanladen. Er spritzte Wasser auf das Hosenbein, rieb mit dem unbenutzten, duftenden Stück Seife daran herum, spritzte noch ein wenig mehr Wasser darauf, rieb mit dem Toilettenpapier noch ein wenig weiter, hob schließlich den schwarzen Holzdeckel, um das Papier zu entsorgen, und zog an der altmodischen Kette mit dem Porzellangriff. Alle Handtücher hatten einen kostbaren, mit einem farbigen Band abgesetzten Spitzenbesatz, darum bediente er sich lieber noch einmal großzügig am Toilettenpapier, um den Fleck trockenzureiben. Dann kehrte er ins Schlafzimmer zurück und fragte sich, wo er sich niederlassen sollte. Mit diesem feuchten Fleck auf der Hose würde er sich ganz bestimmt nicht auf diesem Riesenhimmelbett mit all der Seidenwäsche, den kostbaren Spitzen und Bändern niederlassen. Also wanderte er ein wenig im Zimmer umher, betrachtete alles so eingehend, als befände er sich an einem Tatort, was dieses Zimmer letztlich ja auch war. Nicht, dass er erwartete, hier irgendwelche Beweismittel zu entdecken. In einer mit Vorhängen abgetrennten Ecke stand ein kleiner Marmortisch und alles, was man zum Frühstück brauchte, sogar eine moderne, blitzblanke Espressomaschine. Ihm fiel die Milch im Kühlschrank wieder ein. Demnach frühstückten die Gäste sogar hier, aber wohl nicht mit den Cristinas. Um solchen Luxus wirklich genießen zu können, musste man jung und naiv sein, aber leisten konnten ihn sich nur reiche, alte Männer. Nun ja, der Maresciallo hatte nie und würde auch nie zu einer der beiden Gruppen gehören. Am liebsten wäre er jetzt zu Hause, frisch geduscht, im Schlafanzug zwischen kühlen, frischen Laken. Die dufteten so angenehm. Hier im Zimmer stank es nach Rauch – das hatte er Nesti zu verdanken –, und dieser Grappa hatte einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Statt die Verdauung des Nachtmahls zu unterstützen, lag ihm der Schnaps einfach nur schwer im Magen. Teresa hätte ihn ordentlich gescholten, weil er so spät noch so viel gegessen hatte: »Du weißt doch, dass du dann schlecht träumst.« Und dann würde sie ihm Kamillentee machen und so lange mit ihm reden, bis es ihm wieder besserging.
Guarnaccia wollte nur noch nach Hause, so sehr, dass es weh tat, doch schlagartig verschwand dieser Schmerz in seiner Brust wieder: Teresa war ja nicht da. Er seufzte tief und nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder auf, viel zu unruhig, um sich irgendwo hinzusetzen. Er öffnete und schloss Schranktüren, die nichts weiter als leere Bügel verbargen, und mit marmoriertem Papier ausgelegte Schubladen. Als es endlich leise an die Tür klopfte, war er direkt erleichtert. Rasch ließ er Christina ins Zimmer. Sie sah jetzt ganz anders aus, trug mit Pailletten besetzte Bluejeans und eine kurze Jacke über einem einfachen T-Shirt. Kaum dem Mädchenalter entwachsen. Er setzte sich auf den gestreiften Stuhl und wies Cristina, da kein zweiter greifbar war, das Bett zu. Sie zog die Jacke aus und öffnete mit unbewegter Miene den Reißverschluss ihrer Hose.
6
Nein, bitte nicht.«
Cristina hielt inne, wartete auf weitere Instruktionen.
»Nein, nein … Setzen Sie sich bitte. Ich möchte mich nur mit Ihnen unterhalten.«
»Wie Roberto?«
»Roberto? Ja, ähm, ja, natürlich, wie Roberto.« Der Maresciallo erinnerte sich nicht daran, dass ihm Nestis Vorname je zu Ohren gekommen war, aber eigentlich müsste er ihn in der Zeitung mal gelesen haben. Nesti mochte zahlreichen Schwächen frönen, in seinem Job war er durch und durch ein Profi, und darum überraschte es den Maresciallo nicht, dass der Journalist auch an diesem Abend Geschäft und Vergnügen sauber getrennt hielt.
Er deutete Cristina an, die Hose wieder zu schließen.
»Haben Sie Angst?«
Die junge Frau starrte ihn wortlos an.
»Sprechen Sie Italienisch?«
»Ja. Aber bitte sprechen Sie langsam.«
»Ich werde ganz langsam sprechen. Okay?«
»Roberto hat gesagt, ich soll von den Kindern erzählen.«
»Es sind Kinder hier? Wie viele? Zwei? Sind das die beiden Namen, die Sie nicht kennen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Weiß nicht.«
»Haben Sie sie gesehen? Woher wissen Sie, dass sie hier sind? Wie alt sind sie? – Entschuldigen Sie, ich werde langsamer sprechen.«
Stück für Stück setzten sie die Geschichte wie ein Puzzle zusammen. Sie glaubte, dass sich in diesem Haus zwei Kinder
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