Vita Nuova
gebracht, aber das würde Paoletti nur warnen. Die Kinder würden sich in Luft auflösen, und er würde keinerlei verwendbare Beweise finden; dass Paoletti sich mit so was auskannte, hatte er ihm ja bereits eindrucksvoll demonstriert. Bis jetzt hatte Nesti die Regeln des Clubs eingehalten, und so blieb ihnen um Cristinas willen nur zu hoffen, dass sie niemandes Misstrauen geweckt hatten.
»Wie lange bleiben Sie normalerweise bei einem Kunden?«
»Eine halbe Stunde.«
»Wie kommen Sie vom Club hierher?«
»Mauro fährt uns. Wenn wir wieder in den Club zurückmüssen, wartet er unten. Wenn nicht, ruft er oben an, damit sie weiß, wann wir oben sein sollten.«
»Fahren Sie oder eines der anderen Mädchen manchmal selbst?«
»Nein. Wir haben keine Papiere.«
»Was ist mit Danuta und Frida? Sie arbeiten jeden Tag in der Villa. Wie kommen sie nach Florenz?«
»Mauro fährt sie. Er lebt mit seiner Mutter in Florenz und nimmt sie mit zurück, wenn er abends zur Arbeit kommt. Aber jetzt bringt er nur noch Danuta mit.«
Seit dem Mord jedoch lief es anders. Bis jetzt hatte keiner seiner Männer diesen Mauro zu Gesicht bekommen, sie hatten am Samstagabend nur zwei Mädchen in einem Mini wegfahren sehen. Doch der Maresciallo hakte nicht weiter nach, wollte Cristina nicht aus dem Konzept bringen.
»Haben Sie schon mal daran gedacht wegzulaufen?«
»Ich habe kein Geld und keine Papiere. Wenn sie mich kriegen, bringen sie mich um.«
»Warum reden Sie dann mit mir? Haben Sie keine Angst?«
»Weil Maddalena versprochen hat, mir zu helfen. Sie hat versprochen, mir für den Anfang etwas Geld zu leihen, aber ich brauche meinen Pass. Sie hat gesagt, dass Roberto es so deichseln würde, dass er uns gehen lassen muss.«
»Paoletti?«
»Stimmt das etwa nicht?«
»Doch, doch, zumindest werden wir es versuchen.«
Was hätte er denn anderes sagen sollen? Dass er nur wegen Paolettis Tochter hier war und Nesti nur wegen der Titelseite? Die Sache mit den Kindern änderte alles. Cristinas Schicksal interessierte niemanden sonderlich, und wenn ihnen der kleinste Fehler unterlief, würde sie dafür büßen müssen. Sie war zu vertrauensselig, zu gehorsam. Paoletti hatte ein gutes Händchen für seine Mädchen.
»Hören Sie zu, Cristina, sprechen Sie mit niemandem über Nesti und mich, mit niemandem, auch nicht mit den anderen Mädchen. Sie müssen sehr, sehr vorsichtig sein, sonst werden Sie in arge Schwierigkeiten geraten, aber das wissen Sie ja. Machen Sie sich keine Gedanken um Geld und Pass. Ich weiß einen sicheren Platz für Sie, Don Antonio wird Ihnen helfen. Sie werden schon bald wieder nach Hause zurückkehren können.«
»Ich kann nicht nach Hause zurück! Mein Vater bringt mich um! Bitte, schicken Sie mich nicht nach Hause!«
»Schschsch, schon gut … ich weiß, ich weiß, das glauben Sie wirklich, jetzt zumindest, aber Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Sorgen sich Ihre Familie um Sie macht, und wie froh sie alle sein werden, wenn Sie wieder da sind …« Er hielt inne, hatte ihre Miene registriert. Sie schaute ihn an, als käme er von einem anderen Stern, wirkte schlagartig nicht mehr wie ein junges Mädchen, sondern wie eine alte Frau. Er hatte den Kontakt zu ihr verloren, ihre Miene verschloss sich, und schon sah er wieder diese ausdruckslose Maske, die sie beim Öffnen der Jeans aufgesetzt hatte.
»Er bringt mich um«, sagte sie mehr zu sich selbst.
»Nein. Wir werden Ihnen helfen. Verstehen Sie mich? Wir werden etwas arrangieren, insbesondere, wenn Sie uns helfen. Wir werden Sie nicht zwingen zurückzugehen, wenn Sie bleiben wollen. Sind Sie sicher, dass Sie bleiben wollen?«
»Da ist dieser Mann, Aldo … er fragt immer nach mir. Er sagt, ich hab Talent und dass er mich ins Fernsehen bringen kann, weil ich die richtige Figur habe. Er sagt, die anderen Mädchen in den Shows sind nicht so hübsch wie ich und dass sie immer auf der Suche nach neuen Mädchen sind. Er ist ein ziemlich wichtiger Mann dort, und ein Mädchen von hier hat schon einen Job bei einer Fernsehshow bekommen. Das war, bevor ich gekommen bin. Anna hat mir das erzählt. Sie hat sich in Schale geworfen und ist zu Probeaufnahmen hin. Mauro hat sie gefahren, und er hat den anderen erzählt, dass sie den Job bekommen hat und nicht mehr zurückkommt. Und sie ist nicht zurückgekommen. Wenn ich also wirklich hier rauskomme und Roberto mich in die Zeitung bringt, wird mich Alberto holen kommen, oder? Finden Sie auch, dass ich die richtige
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