Vita Nuova
versperrten ihnen dabei kurz den Weg nach draußen. Die Frau war erstaunlich groß, wie eine riesige Puppe. Der Maresciallo sah sich um. Er konnte keine Kamera entdecken, aber vielleicht hatten sie die Dinger ja auch versteckt. Nicht dass ihn das wirklich kümmerte, schließlich war er rein dienstlich hier.
Erleichtert traten sie nach draußen in die Dunkelheit und brachten so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und die dröhnende Musik. Als sie schließlich die Autos erreicht hatten, konnten sie ihre Schritte auf dem Kies wieder hören und nahmen die Musik nur noch als dumpfes Hintergrundgeräusch wahr.
»Bevor wir in die Autos steigen, würden Sie mir bitte wohl erklären –«
»Hier nicht«, murmelte Nesti. »Es ist zu dunkel. Wer weiß, wer sich hier in der Nähe rumtreibt. Steigen Sie ein, und folgen Sie mir.«
Sie fuhren zurück ins Zentrum des Kurortes, in die Straße, in der sich auch das Restaurant befand, wo sie zu Abend gegessen hatten. Nesti machte ihm ein Zeichen und bog nach links in eine schmale Gasse, die zu einem Parkplatz führte, nichts weiter als ein kleines, holpriges, mit Schlaglöchern übersätes Grundstück, dennoch tauchte ein Parkplatzwächter mit einer Taschenlampe auf und knöpfte jedem zehn Euro ab.
»Wie lange können wir dafür hier parken?«, wollte der Maresciallo wissen.
Der Mann zuckte mit den Schultern und verschwand in der Dunkelheit.
Sie kehrten zur Straße zurück, die noch immer hell beleuchtet und genauso belebt war wie am frühen Abend, nur waren jetzt deutlich weniger Frauen unterwegs, abgesehen von den jungen Mädchen, die nach Freiern Ausschau hielten. »Warten Sie hier«, befahl Nesti. »Wir wollen nicht schon wieder auffallen …«, und verschwand in eine Bar.
Der Maresciallo blieb in einigem Abstand zur Bar stehen, gab vor, er interessierte sich für eine viertausend Euro teure Handtasche in einem der Designerläden, und beobachtete dabei aus den Augenwinkeln, wie Nesti zu dem Mann an der Kasse ging und mit ihm sprach. Der holte daraufhin etwas unter der Theke hervor und reichte es dem Reporter. Dann kam Nesti wieder aus der Bar heraus, ging an Guarnaccia vorbei, ohne ihn anzusehen, und murmelte leise: »Folgen Sie mir, aber halten Sie Abstand.«
Der Maresciallo fand das Ganze ein wenig lächerlich, tat aber, wie ihm geheißen, denn trotz seiner Müdigkeit war seine Neugier geweckt. Nesti überquerte die Straße und bog um die Ecke. Die Häuser in der Hauptstraße waren alle noch relativ neueren Datums, die ältesten mussten so in den sechziger Jahren erbaut worden sein. Inzwischen befanden sie sich in einer ruhigeren Straße, wahrscheinlich ganz in der Nähe des Kurparks, denn die Nachtluft war erfüllt von dem Duft nach Blumen und Bäumen. Nesti blieb vor einer Villa im englischen Liberty-Stil stehen und wartete auf ihn.
»Das hier ist doch ein Privathaus!«, protestierte der Maresciallo leise.
»Eher ein sehr verschwiegenes Hotel.« Nesti öffnete die Eingangstür mit einem großen Schlüssel. Niemand hielt sich in der Eingangshalle auf, keine Rezeption, weit und breit keine Menschenseele. Gedämpftes Licht und riesige Blumen in Töpfen, moderner Fliesenboden, eine Treppe mit kunstvoll geschmiedetem Handlauf, die nach oben führte.
Beim Hochsteigen reichte Nesti Guarnaccia einen Schlüssel.
»Wir müssen in den ersten Stock. Cristina kommt zuerst zu mir, damit wir unsere kleine Unterhaltung fortsetzen können. Ich habe für zwei Zimmer gezahlt, Sie können die Gelegenheit also nutzen, wenn Sie wollen – bezahlt ist es.«
»Nein, danke. Ich hoffe bloß, dass es das hier wert ist.«
»Sie werden schon sehen. Kommen Sie rein. Das hier ist Ihr Zimmer, meines ist gegenüber. Ich setze Sie rasch ins Bild, Cristina wird sich erst in einer Stunde freimachen können. Nicht schlecht hier, was?«
In der Mitte des geräumigen Zimmers stand ein großes Himmelbett mit hauchdünnen Vorhängen, die von Bändern zur Seite gerafft wurden.
»Setzen Sie sich. Irgendwo gibt es auch einen Kühlschrank.« Es dauerte nicht lange, bis Nesti ihn in einem antiken Schränkchen entdeckt hatte. »Champagner … sehr schön – und schauen Sie sich das an! Sogar Milch fürs Frühstück! Paoletti versteht sein Geschäft, das muss man ihm lassen. Hier sind auch Gläser. Ich mag es, wenn alles so ist, wie es sich gehört. Hier, bitte.«
Der Maresciallo saß auf einem glänzend gestreiften Stuhl und nahm Nesti das Glas ab, obwohl er um diese Uhrzeit wahrlich keine Lust mehr
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