Vita Nuova
aufhielten, eines so um die zwölf, dreizehn, das andere deutlich jünger. Sie lebten, wie alle anderen auch, im obersten Stock unter der Aufsicht einer Frau namens Maria Grazia.
»Diejenige, die Danuta heißt – arbeitet die nachmittags in Florenz bei Paoletti zu Hause?«
»Nein, das ist eine andere Danuta. Sie arbeitet nachmittags in der Villa, und abends kommt sie zum Gläserspülen und Putzen in den Club.«
»Wo schläft sie?«
»Frida und sie schlafen in einem Kellerraum drüben im Club.«
»Haben die beiden vielleicht auch in der Paoletti-Villa so ein Kellerzimmer?« Dann wüsste er, wer ihn an jenem Morgen beobachtet hatte.
»Nein, aber vielleicht hat Frida seit neuestem ein Zimmer dort. Sie kommt nicht mehr her zum Schlafen, seit … Danuta ist keine von uns, aber sie hat riesige Angst vor Paoletti, jetzt natürlich noch mehr.«
»Sie wissen Bescheid? Über den Mord, meine ich?«
Cristina nickte. »Danuta glaubt, dass er es war.«
»Paoletti?«
Das Mädchen nickte wieder. »Er hat Pistolen. Frida hat sie gesehen. Sie putzt und kocht zusammen mit Danuta, aber seit das passiert ist, muss sie in der Villa bleiben, hat er gesagt. Sie hat Angst. Sie verraten mich doch nicht … ich meine, das mit den Pistolen?«
»Nein, nein. Wir machen eine Hausdurchsuchung und finden die Pistolen. Wir verraten Sie nicht, Sie nicht und die beiden anderen auch nicht. Gibt es noch einen Grund, warum Danuta glaubt, er hätte sie umgebracht?«
»Sie hat Angst vor ihm. Wir alle haben Angst.«
»Verstehe. Und ist da noch was anderes?«
»Danuta sagt …«
Er wartete, legte ihr nichts in den Mund, stellte keine Fragen. Es dauerte ein Weilchen, bis sie weitersprach, aber er ließ ihr die Zeit, die sie brauchte.
»Danuta sagt, und Frida sagt, er lässt seine Töchter nie raus. Darum sind sie so komisch. Und dass seine Frau …«
»Ich kenne seine Frau. Aber Paoletti kann seine Tochter nicht umgebracht haben. Er lag im Krankenhaus.«
Das Mädchen zuckte die Achseln. Für sie war das kein stichhaltiges Gegenargument, in ihren Augen war Paoletti allmächtig. Er brauchte nicht persönlich anwesend zu sein. Wenn er entschied, dass jemand tot war, dann war diese Person tot. Guarnaccia fand, sie hatte seine Persönlichkeit ziemlich gut erfasst, zumindest was seine despotische Herrschaft über die Familie betraf. Aber ein Mord in seinem eigenen, auf Ehrbarkeit und Ansehen bedachten Haus? Niemals! Und doch, hatte er selbst nicht genau so etwas dem Capitano gesagt? Ein Profi, der das Opfer aus persönlichen Motiven gehasst hat … nur die Waffe passte nicht ins Bild. Cristina und die anderen Mädchen hatten nicht umsonst solche Angst vor Paoletti. Besser, er nahm sie ernst.
»Erzählen Sie mir, was hier vor sich geht. Was ist mit diesen Kindern?«
Die kleinen Mädchen wurden von den anderen getrennt gehalten, aber alle wussten, dass sie da waren. Sie hatten sie weinen hören.
»Haben Sie sie schon einmal gesehen?«
Sie hob einen Finger.
»Eines der beiden? Einmal? Wo?«
»Hier.« Sie zeigte auf das Bett. »Es hat geweint.«
Wenn sie das Mädchen wirklich gesehen hatte, dann nur für den Bruchteil einer Sekunde oder so. Sie wollte gerade zu einem Kunden ins Zimmer gegenüber, als sie diese Zimmertür aufgehen hörte. Getreu der Hausregel ›Nichts sehen und nicht gesehen werden‹ schloss sie die eigene Tür so rasch wie möglich hinter sich. Das wär’s normalerweise gewesen, aber weil sie ein Weinen hörte, spähte sie noch mal hinaus auf den Flur. Es war ein großer Mann, um die sechzig, dick und glatzköpfig. Obwohl er die Tür bereits hinter sich zuzog, hatte sie einen Blick auf das Kind erhaschen können, da das Bett direkt gegenüber der Tür stand.
»Sind Sie sicher, dass es ein Kind war?«
»Ja. Ein kleines Mädchen.« Sie zeigte ihm mit der Hand die ungefähre Größe an. »Sieben oder acht Jahre.«
Cristina hatte ihre Tür wieder geschlossen, aber noch ein wenig durchs Schlüsselloch gespäht.
»Maria Grazia ist in das Zimmer gegangen, und das Kind hat aufgehört zu weinen. Das war alles.«
Der Maresciallo blieb schweigend sitzen, überlegte, wie weiter vorzugehen war. Er konnte nicht einfach aufgrund der Aussage der jungen Frau dort oben hineinplatzen. Er brauchte einen Durchsuchungsbefehl und musste mit Rücksicht auf die hochrangigen Kunden des Hauses äußerst vorsichtig agieren. Er befand sich mitten in einem Minenfeld. Am liebsten hätte er auf der Stelle Cristina mitgenommen und in Sicherheit
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