Vita Nuova
letzten Mal auch. Dieser Mann jagte ihm eine gehörige Portion Angst ein. Die Kinder …
»Sehet das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt …«
Die Kommunion wurde an einer Seite des Altars ausgeteilt, da Danielas Sarg im Mittelschiff den Platz blockierte. Paoletti, seine Frau und seine Tochter gingen als Erste zur Kommunion, danach erst folgte die übrige Gemeinde.
Kurz bevor die Messe endete, zog sich der Maresciallo leise nach draußen zurück. Das helle Licht der heißen Sonne ließ ihn automatisch nach der Sonnenbrille tasten.
»Hab ich mir doch gedacht, dass ich Sie hier finde.«
»Nesti! Sie sollten sich nun wirklich nicht hier blicken lassen, und schon gar nicht mit mir …«
»Dann beeilen Sie sich ein bisschen, steigen Sie in meinen Wagen, ich habe eine Überraschung für Sie … Und sparen Sie sich Ihre Beschimpfungen! Ich habe schließlich Wort gehalten, oder etwa nicht?«
»Ja, aber … wer ist das denn?«
»Ein wichtiger Zeuge, der interessante Informationen über unseren Freund Paoletti hat. Nun steigen Sie schon ein, da kommen sie schon.«
»Ich bin mit meinem eigenen Wagen samt Fahrer hier und muss zum Friedhof. Um was geht es denn überhaupt?«
»Folgen Sie uns einfach. Wir fahren raus zum Trespiano-Friedhof und parken die Autos hinter den Toren außerhalb der Sichtweite des Trauerkonvois, so dass Sie sich denen später einfach wieder anschließen können.«
Wer immer in Nestis Auto saß, der Maresciallo konnte den Mann nicht erkennen, folgte ihnen aber durch die Stadt die Via Bolognese hinauf. Zahllose Blütenblätter und purpurfarbene Bänder säumten die steile, enge Gasse, offenbar Schmuck von Leichenwagen, den sie auf dem Weg nach oben verloren hatten.
Als sie den Friedhof erreicht hatten, stellte sich der Maresciallo mit dem Fremden in den Schatten einer Zypressenreihe, während Nesti rauchend auf und ab lief, um nach dem Trauerzug Ausschau zu halten.
Der Fremde stellte sich selbst vor, ein Exkollege, der früher einmal ebenfalls den Dienstgrad eines Maresciallo innegehabt hatte.
»Ich habe den Artikel in der Zeitung gelesen und deshalb angerufen. Nesti meinte, ich solle mit Ihnen reden.«
»Sie kennen den Mörder?«
»Den Mörder? Nein. Aber ich weiß etwas über Paoletti. Bis vor ein paar Jahren war ich der diensthabende Maresciallo da draußen, ich bin Piazzas Vorgänger.«
»Sie … Sie sehen aber viel zu jung aus, um schon in Pension zu sein …«
»In Pension? Nun ja, wahrscheinlich kann man das so nennen. Ich habe mich mit Paoletti angelegt und verloren … nicht freiwillig, natürlich, ich bin kein Held. Ich hatte ein paar Gerüchte über das Hotel gehört und mich deswegen nachts dort einmal ein wenig umgeschaut. Hab Leute dort gesehen, die ich wohl besser nicht gesehen hätte. Wie auch immer, bevor ich mich’s recht versehen hatte, bin ich versetzt worden.«
»Wohin?«
»Nach Basilicata. Nichts gegen den Süden, aber meine Frau ist aus Bologna … Sie wissen ja, wie das ist. Nun ja, lange Rede, kurzer Sinn, sie sind nicht mitgekommen, sondern zu ihrer Mutter gezogen. Nur fürs Erste, hat meine Frau gesagt, aber dann … Nach einer Weile wurde mir klar, dass sie nie nachkommen würden. Die Kinder, die Schulen, sie hatten sich eingelebt … also habe ich um vorzeitige Entlassung gebeten.«
»Konnten Sie sich das denn leisten? Ich meine …«
»Natürlich konnte ich mir das nicht leisten, oder könnten Sie das?«
»Nein. Nein, ich …«
»Dann seien Sie hübsch vorsichtig. Der Mann ist verdammt gefährlich und hat erstklassige Verbindungen.«
»Ich weiß. Gott sei Dank hat mein vorgesetzter Offizier –«
»Ihr Capitano? Machen Sie sich nichts vor. Paoletti steckt Sie beide mit dem kleinen Finger in den Sack. Legen Sie sich lieber nicht mit ihm an, Sie haben keine Chance, da stecken jede Menge hohe Tiere mit drin.«
»War das alles, was Sie mir sagen wollten?«
»Nein, das war noch nicht alles, aber ich wollte Sie warnen. Wenn Sie Familie haben, dann …«
»Was … was haben Sie gemacht, seit Sie aus der Armee ausgetreten sind?«
»Bin auch zu ihrer Mutter gezogen. Was blieb mir anderes übrig?«
»Und …?« Er wollte fragen, ob alles gut ausgegangen war, aber es war offensichtlich, dass dem nicht so war. Alles an dem Mann deutete darauf hin, dass er keine Frau mehr hatte. Es war natürlich sehr heiß, aber das Hemd trug er bestimmt schon den zweiten Tag, es sonderte einen strengen Schweißgeruch ab, und die Haare waren etwas zu lang und
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