Vita Nuova
gesehen? Hatte sie nur Angst, seinen Namen zu nennen? Dieses ›Geständnis‹, sie habe Schuhe gekauft, statt hier bei ihrer Schwester zu sein … war es für diese Art Läden nicht ein wenig zu früh am Morgen gewesen? Nun, das konnte er leicht nachprüfen. Wenn sie Paoletti erst einmal hinter Schloss und Riegel hatten, würden sich vielleicht auch die anderen ein Herz fassen und die Wahrheit sagen.
›Kommen Sie am Nachmittag. Dann ist er weg. Ich hab ihn telefonieren hören.‹
Sie konnte ihm bestimmt eine Menge erzählen.
›Es ist alles seine Schuld.‹ Ja, aber er war nicht am Tatort gewesen.
›Wo ist Piero?‹
Jedes Mal, wenn er mit ihr gesprochen hatte, hatte sie nach dem Kind gefragt.
›Wo ist Piero?‹
Der Turm, bar seiner Gefangenen, ragte hoch in den dunklen Nachthimmel auf. Der Maresciallo hatte diesen Ort schon bei seinem ersten Besuch nicht sonderlich gemocht, und er mochte ihn noch immer nicht.
Was hier passiert war, war am helllichten Tag passiert. Er würde nach Hause gehen, etwas schlafen und hierher zurückkehren, bevor die anderen aufwachten.
Aber wie so oft kam es anders als geplant, und er sollte nicht bei Tagesanbruch zurück sein.
11
Tut mir wirklich leid, dass es so kommen musste, Guarnaccia. Ich weiß, wie viel Sie sich davon versprochen hatten.« Die Stimme des Capitano am anderen Ende der Leitung klang aufrichtig bedauernd.
»Ja, nun … letzten Endes macht das keinen Unterschied. Seine Frau weiß, wo er heute Nachmittag hingeht. Sie hat das Telefonat belauscht, das wir abgehört haben.«
Der neu ernannte Staatsanwalt hatte die Genehmigung zum Abhören aller Telefonleitungen der Paoletti-Villa erteilt. Paoletti würde später in den Club fahren, um die frisch angekommene Fuhre Mädchen beim ›Probetanzen‹ zu begutachten. Höchstwahrscheinlich würden sie weder im Club noch in den Büroräumen der Stellenvermittlung belastendes Beweismaterial finden, aber Hausangestellte in spe mehr oder minder unbekleidet auf der Bühne eines Nachtclubs zum Probetanzen antreten zu lassen … es dürfte nicht ganz einfach sein, dafür eine plausible Erklärung zu finden. Das Gleiche galt für das Hotel. Für die beiden Kinder würde es keine plausible Erklärung geben, das brachte nicht einmal ein Paoletti zustande.
»Sie sollten mitkommen. Wenn Sie nicht gewesen wären …«
»Nein, nein … Sie brauchen mich nicht. Ich fahre lieber hoch zur Villa. Für alle Fälle.«
»Für alle Fälle?«
»Es ist besser, wenn ich dort bin. Sobald die Tänzerinnen und die beiden Kinder in Sicherheit sind … eine Frau wird mir alle Fragen beantworten. Glauben Sie, dass Sie gegen De Vita genügend Beweismaterial zusammenbekommen?«
»Das reicht, hundertprozentig. Der pensionierte Maresciallo hat sich als wahre Goldgrube erwiesen.«
»Den haben wir Nesti zu verdanken.«
»Vor Jahren hat es da wohl eine Beschwerde gegeben, dass zahlreiche Gäste eines bestimmten Hotels einer Erpressungsserie zum Opfer gefallen sind. Ein Mann fängt eine Affäre mit der Frau eines gutsituierten Bürgers dieser Stadt an, nimmt sie mit in ein Hotel, und anschließend bekommt sie Fotos mit der Drohung zugeschickt, dass diese an ihren Mann weitergeleitet werden. Natürlich hat der ›Freund‹ ebenfalls behauptet, erpresst zu werden. Wir nehmen an, dass sich aus diesen Anfängen das jetzige Erpressungsgeschäft entwickelt hat; De Vita empfiehlt das Hotel in seinen Kreisen und sorgt so für zahlungskräftigen Nachschub. Falls der geringste Verdacht auf ihn fallen sollte, so kann er immer behaupten, selbst Opfer der Erpresser gewesen zu sein.«
»Und das wäre er mit Sicherheit geworden, wenn es erforderlich gewesen wäre.«
»Diese Frau, die sich an die Behörden gewandt hat, hat ausgesagt, dass es noch zwei weitere Frauen gebe, die von dem gleichen Mann hereingelegt worden seien, sich aber nicht trauten, dies anzuzeigen. Das hatte sie auf eigene Faust herausgefunden. Es ist jetzt zwar schon ein paar Jahre her, aber zweifelsohne wird sie De Vita identifizieren können.«
»De Vita vielleicht, aber nicht Paoletti. Der hält sich wie immer als unsichtbarer Drahtzieher im Hintergrund.«
»Den machen wir schon noch dingfest.«
Der Maresciallo blickte nachdenklich auf den Bericht, der vor ihm auf dem Tisch lag. »Da bin ich mir nicht mehr ganz so sicher …«
»Guarnaccia, ich verstehe durchaus, dass Sie glauben, er sei Ihnen durch die Lappen gegangen, aber Sie wissen doch genau, dass Paoletti seine Tochter gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher