Vita Nuova
getötet haben kann: Der Mann lag zur Tatzeit im Krankenhaus! Sie werden schon herausfinden, was wirklich passiert ist. Außerdem werden wir die Ermittlungen bestimmt besser vorantreiben können, wenn die ganze Bagage erst einmal in U-Haft sitzt. Vielleicht ist der Mord ja doch keine reine ›Familienangelegenheit‹.«
»Ja, schon möglich. Aber dieser Bericht beweist, dass ich mit meinen Annahmen ganz falsch liege, dass ich mich total geirrt habe, was ihn betrifft.«
»Tja, das Untersuchungsergebnis ist eindeutig, Guarnaccia, oder wollen Sie etwa die moderne Wissenschaft in Frage stellen?«
»Nein, natürlich nicht.«
Als er aufgelegt hatte, las der Maresciallo den Bericht ein zweites Mal.
Die DNA -Analyse bewies zweifelsfrei, dass Piero Paoletti der Sohn von Daniela Paoletti und einem Unbekannten war, der in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnis zu ihr stand.
»Trotzdem …«
Nachdenklich trommelte er mit seinen großen Fingern auf das Papier. Er hatte eigentlich frühmorgens wieder in der Paoletti-Villa sein wollen, aber der neue Staatsanwalt hatte ihn gebeten, erst bei ihm hereinzuschauen, und wieder einmal musste Guarnaccia sich ins Gedächtnis rufen, dass Daniela tot war. Paolettis andere Opfer, die, die noch lebten, hatten jetzt Vorrang. Als er in sein Büro zurückkam, fand er diesen Bericht auf seinem Schreibtisch vor.
Piero …
Hatte sich die geballte Sorge um das Kind, die Signora Paoletti trotz des anhaltenden Alkoholnebels ständig zu beherrschen schien, geradewegs auf ihn übertragen?
›Wo ist Piero?‹
Es war schon fast halb zwölf. Paoletti wurde gegen Mittag zu Hause erwartet. Zu gern wäre der Maresciallo höchstpersönlich ins Krankenhaus gefahren, aber bislang hatte De Vita das geschickt zu verhindern gewusst. Er wollte Genaueres über Paolettis Gesundheitszustand wissen, wollte die Krankenakte einsehen. Immerhin hatte er sich damals kurzerhand auf eigene Verantwortung entlassen und war mit einem Taxi nach Hause gefahren. So schrecklich krank war er also wohl doch nicht …
Zum jetzigen Zeitpunkt allerdings konnte er einen solchen Besuch nicht riskieren, noch nicht, erst mussten sie sie alle verhaftet haben …
Die Riesenoperation war in vollem Gange. Sie würden sich gleichzeitig zum Club, zum Hotel und zu den Räumen der Stellenvermittlung Zutritt verschaffen. Sie hatten Zeugen: ihm selbst, Nesti, Piazza, Piazzas Vorgänger, den Witwer, die erpresste Ehefrau. Es konnte nicht schiefgehen. Oder doch?
Sosehr er sich auch dagegen wehrte, Guarnaccia kam einfach nicht gegen diese tiefsitzende Überzeugung an, dass Paoletti ihnen im letzten Augenblick noch entwischen würde. Aber was noch schlimmer war: Er konnte und wollte nicht glauben, dass Paoletti nicht der Vater des Kindes war; da konnte in diesem verflixten Bericht stehen, was wollte.
Er spielte mit dem Gedanken, Nesti ins Krankenhaus zu schicken, aber einmal abgesehen von der Tatsache, dass der Reporter bestimmt noch nicht in der Redaktion war, konnte er ihn wirklich nicht darum bitten, ihm Paolettis Krankenakte zu besorgen. Natürlich würde es Nesti gelingen, an die Unterlagen zu kommen, er würde eine Krankenschwester ausfindig machen, die er um den Finger wickeln konnte, aber was nützte ihnen das?
Außerdem hatte Nesti heute bestimmt nichts anderes als seine Titelseite im Kopf, die ihm die Ereignisse im Laufe des Tages bescheren sollten, und diesen heißersehnten Triumph hatte er sich nun wirklich verdient.
Da er sonst nichts Wichtiges mehr zu erledigen hatte, rief der Maresciallo seinen Fahrer und machte sich zum Gehen bereit. Es lag keineswegs in seiner Absicht, sich dadurch zu profilieren, dass er sich in die Höhle des Löwen wagte. Er hatte keine Wahl, er musste zur Villa zurück.
Der Löwe war vor ihm zurückgekehrt.
Die beiden diensthabenden Carabinieri setzten ihn davon in Kenntnis: »Er ist vor gut zwanzig Minuten angekommen.«
»Mit einem Taxi, und er hat uns beim Reinkommen zugenickt, als wären wir Angestellte auf seiner Gehaltsliste.«
»Kümmern Sie sich nicht weiter drum, spielen Sie einfach mit. Unsere Aufgabe ist es, die Familie zu beschützen.«
»Ach, da war noch was, Maresciallo, zwei Bauarbeiter haben nach Ihnen gefragt.«
»Irgendwas Besonderes?«
»Haben sie nicht gesagt, nur, dass sie mit Ihnen sprechen wollen.«
»Danke.« Er überließ es seinem Fahrer, ein schattiges Plätzchen für das Auto zu suchen, und marschierte rechts um das Haus herum. Es war kein Baulärm zu hören, also
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