Viva Espana
längeren Erholungsurlaub in einem wärmeren Klima hätte sie sich nicht erlauben können.
Nach dem Essen wurde im Wohnzimmer Kaffee serviert, und Sebastian setzte sich neben sie.
„Du musst versuchen, Ruy zu verzeihen", sagte er leise, während Ruy mit Rodriguez sprach. „Seit dem Unfall hat er sich verändert. Aber das ist verständlich, besonders bei Ruy, der immer so ..."
„Ungemein männlich war?" half Davina ihm auf die Sprünge. „Ja, ich kann mir vorstellen, wie sehr er jetzt leidet, Sebastian. Aber ich kann nicht verstehen, dass deine Mutter es ge wagt hat, mir ohne sein Wissen zu schreiben."
Sebastian zuckte die Schultern. „Du hast doch selbst gesehen, wie Ruy reagiert hat.
Sie hat es heimlich getan, weil Ruy nie zugelassen hätte, dass sie Kontakt mit dir aufnimmt. Er hat seinen Stolz ..."
„Und die Frau, die er liebt, hat ihn verlassen", warf Davina ein.
Er schien sich plötzlich unbehaglich zu fühlen und wirkte seltsam überrascht. „Das stimmt. Mein Bruder würde jedoch niemals versuchen, eine Frau, die ihn nicht mehr will, zu irgendetwas zu überreden. Insofern brauchst du keine Bedenken zu haben, Davina."
„Das habe ich auch nicht", erwiderte sie. „Mir ist völlig klar, dass man mich hier nur wegen Jamie toleriert, obwohl Ruy seinen Sohn nie akzeptiert hat und auch jetzt noch so tut, als wäre er vielleicht nicht sein Kind."
In dem Moment läutete das Telefon. Sogleich entschuldigte sich Sebastian und ließ sie allein. Davina unterdrückte ein Gähnen und schloss die Augen. Sie wollte sich nur einige Minuten ausruhen.
Plötzlich schreckte sie auf. Offenbar hatte sie länger geschla fen, denn im
Wohnzimmer war es ziemlich dunkel. Nur eine Stehlampe war noch an.
„So, du bist endlich wach geworden. Ich kann mich noch erinnern, dass du schon damals Mühe hattest, dich an unsere Le bensweise zu gewöhnen."
„Du hättest mich wecken können." Sie sah auf die Uhr. Es war beinah zwei. Außer Ruy und ihr war niemand mehr auf. Sie fühlte sich seltsam verletzlich, als ihr bewusst wurde, dass er sie im Schlaf beobachtet hatte, und erbebte.
Ruy lächelte spöttisch. „Warum zitterst du, Liebes?" fragte er samtweich. „Hast du vielleicht Angst vor mir, weil ich mich nicht mehr ohne meinen Rollstuhl fortbewegen kann? Oder fürchtest du dich vor dem Tiger im Käfig? Als ich noch frei he rumlaufen konnte, hattest du jedenfalls keine Angst vor mir."
Es lag ihr auf der Zunge zu sagen, Tiger in Käfigen seien unberechenbar und grausam, weil sie mit dem Eingesperrtsein nicht zurechtkämen. Aber sie beherrschte sich. Ruy hatte ein großes Problem damit, dass er seine Kraft und Energie nicht mehr ausleben konnte. Sein Leben hatte für ihn den Reiz verlo ren, und er reagierte anderen gegenüber hart und ungerecht.
„Wovor fürchtest du dich am meisten, meine Liebe?" Er blieb mit dem Rollstuhl so dicht vor ihr stehen, dass sie seinen Atem, der nach Sherry roch, wahrnehmen konnte. Ihr verkrampfte sich der Magen, als sie sich daran erinnerte, wie sich seine Lippen auf ihren angefühlt hatten. „Befürchtest du, ich würde mich dafür rächen, dass du mich verlassen und mir meinen Sohn vorenthalten hast?"
„Du hättest hinter uns herkommen können", entgegnete sie ruhig. „Wenn du uns wirklich gewollt hättest..."
Er stieß verächtlich die Luft aus, während es in seinen Augen ärgerlich aufblitzte.
„Hast du das von mir erwartet, Davina? Wolltest du einen Mann haben, der dich immer wieder von neuem erobert? Was war denn mit dem Mann, wegen dem du mich verlassen hast? Mit diesem Engländer, der dir mehr bedeutet hat als dein Ehegelübde? Was ist aus ihm geworden? Hat er sich nicht mehr für dich interessiert, nachdem du nicht mehr die Condesa de Silvadores sein wolltest?"
Davina hatte sich nie mit dem Titel anfreunden können. Doch das war jetzt nicht wichtig. Sie war bestürzt über Ruys Bemerkungen und zornig über die Unterstellung, sie sei mit einem anderen Mann zusammen gewesen.
„Es hat nie einen anderen gegeben!" wehrte sie sich ärgerlich. Ruy glaubte ihr nicht, das sah sie ihm an.
„Nein?" stieß er hervor. „Du lügst, Liebes. Man hat dich mit ihm in Sevilla gesehe n.
Außerdem weiß jeder, dass du mit ihm und meinem Kind Spanien verlassen hast."
Auf einmal wurde ihr klar, was er meinte. Sie hatte zufällig einen Landsmann in Sevilla getroffen. Er war Künstler, und sie waren ins Gespräch gekommen. Ihre Schwiegermutter hatte sie in dem kleinen Straßencafe entdeckt.
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