Viva Espana
Unschuldig wie sie gewesen war, hatte Davina angenommen, ihre Schwiegermutter sei entsetzt darüber, dass sie in so einem schäbigen Cafe saß. Doch offenbar hatte die Condesa gedacht, Davina hätte eine Affäre mit dem Mann. Jetzt begriff sie auch, warum Ruy bezweifelte, dass Jamie sein Sohn war. Monatelang hatte sie ihm ihre Schwangerschaft verschwiegen. Sie war verbittert gewesen, weil Ruy sie nicht liebte, und hatte die Tatsache, dass sie schwanger war, lieber für sich behalten.
„Wenigstens gibst du endlich zu, dass Jamie dein Sohn ist", antwortete sie nur. Egal, was sonst noch unausgesprochen zwischen ihnen lag, was Jamie anging, durfte es keine Zweifel ge ben.
„Jedenfalls behaupten es alle", erklärte Ruy. „Es muss während unserer Flitterwochen geschehen sein, ehe ..."
„Ehe ich herausfand, weshalb du mich wirklich geheiratet hast?" unterbrach Davina ihn und hob stolz den Kopf. Nachdem sie. erfahren hatte, dass er Carmelita liebte, hatte sie sich geweigert, mit ihm zu schlafen, obwohl es ihr schwer gefallen war. Jede Nacht hatte sie stundenlang wach gelegen und sich daran erinnert, wie herrlich es gewesen war, neben Ruy einzuschlafen. Sie hatte sich unendlich sicher gefühlt in seinen Armen, doch diese Sicherhe it war nur eine Illusion gewesen. Ruy hatte mit ihr geschlafen, weil sie ihm gezeigt hatte, wie leidenschaftlich sie ihn begehrte. Vielleicht hatte er sogar Mitleid mit ihr gehabt.
Immer noch verursachten ihr die Erinnerungen an ihre Flitterwochen Kopfschmerzen.
Erst nach der Trauung hatte sie Ruys Familie und den Palacio kennen gelernt. Er hatte erklärt, er würde sie mit nach Hause nehmen, in das Haus inmitten der Sierras. Davina war ganz aufgeregt und nervös gewesen. Dieser attraktive, weltgewandte Mann hatte sie geheiratet, und sie verließ ihre eigene Welt, um ihm in seine zu folgen. Mit Männern hatte sie, abgesehen von einigen harmlosen Küssen, die sie mit Jugendfreunden ausgetauscht hatte, keine Erfahrung. Ihre Eltern lebten nicht mehr, und sie war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, die sie sehr streng erzogen hatte. Ruy lachte, als sie ihm zu erklären versuchte, wie unerfahren sie in der Liebe sei.
„Meinst du, ich hätte nicht gemerkt, dass du noch völlig unschuldig bist?" fragte er liebevoll. Davina war damit zufrieden gewesen. Später, als sie die Wahrheit erfahren hatte, war ihr bewusst geworden, was für eine Ironie es gewesen war. Die Frau, die er eigentlich hatte heiraten wollen, kam aus denselben gesellschaftlichen Kreisen wie er und wusste ge nau, was einem Mann gefiel und was nicht, während sie ...
Sie verzog das Gesicht. Hatte sie sich überhaupt verändert? Sie hatte ein Kind zur Welt gebracht, aber mit Männern hatte sie genauso wenig Erfahrung wie damals, als sie.
Ruy verlassen hatte. Er war ein geduldiger Liebhaber gewesen, behutsam und sanft hatte er ihre Sinnlichkeit geweckt.
Dass er den Raum durchquert hatte, fiel ihr erst auf, als er die Türen zum Patio öffnete. Er drehte ihr den Rücken zu und blickte hinaus in die Dunkelheit.
Bei dem Duft nach Orangenblüten, der hereinströmte, wur den ganz andere Erinnerungen wach. Sie dachte an ihre Ankunft im Palacio de los Naranjos, an das erste schreckliche Es sen, bei dem die Condesa ihre Enttäuschung und ihren Zorn über die überraschende Heirat ihr
es Sohns an ihr ausgelassen hatte. Später fand Ruy sie
herzzerreißend schluchzend in ihrem Zimmer, das weit weg war von seinem. Sie war viel zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt, um wahrzunehmen, was unterschwellig um sie her vorging. Deshalb dachte sie nicht darüber nach, warum Carmelita, deren überwältigende Schönheit sie abgestoßen hatte und ihr beinah schon dekadent vorgekommen war, sie so hasserfüllt angesehen hatte.
Ruy trocknete Davina die Tränen und versuchte, sie zu trösten. Sie bat ihn, sie nicht allein zu lassen. Zu ihrer Erleichterung schlug er vor, durch den Park zu schlendern, damit sie sich beruhigte.
Es war eine milde Nacht, die Sterne funkelten am Himmel, und der Duft nach Orangen lag in der Luft. Ruy hatte ihren Arm genommen - mehr aus Höflichkeit als aus dem Wunsch heraus, sie zu berühren, wie ihr jetzt klar war. Plötzlich stolperte sie, und als Ruy sie festhalten wollte, verloren sie beide das Gleichgewicht und fielen hin. Davina sah ihn an und versuchte gar nicht, ihre Gefühle zu verbergen. Sie wünschte sich, er würde sie endlich ganz zu seiner Frau machen.
Ruy wollte sich zurückziehen. Doch da sie
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