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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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ich diese Sophia auf dem Schoß ihres blonden Riesen sitzen sah, war mir sofort durch den Kopf geschossen, wie es wohl wäre, mit all diesen Männern zu schlafen. Vielleicht sogar in einer Nacht, einer nach dem anderen; der erste zärtlich und verspielt, der nächste sehr unerfahren und ungestüm, dann ein ganz raffinierter, ein besonders leidenschaftlicher oder einer mit ausgefallenen Vorlieben. Und Leo war freundlich und hatte einen direkten Blick aus schönen grauen Augen. Außerdem zeichneten sich unter seinem T-Shirt Brustmuskeln ab.

    »Ja, schüchtern warst du nicht gerade«, lacht Leo, pustet über seine Raukesuppe und versucht, das pochierte Ei unterzudippen. Es schwimmt ihm unter dem Löffel weg. Seine Stirn glänzt ein bisschen. »Aber genau das hab ich gebraucht: eine, die’s in die Hand nimmt.«
    Letzteres sagt er ein bisschen anzüglich. Hilde rührt in ihrem Teller, immer gegen den Uhrzeigersinn, als könnte sie damit die Zeit zurückdrehen. Ich müsste mich sehr täuschen, wenn Gemma nicht gerade versucht, mehr über Maltes Vorlieben herauszufinden. Auf Füßeln unterm Tisch steht er jedenfalls nicht, überhaupt nicht auf Körperkontakt, so viel könnte ich ihr verraten - ein Jammer bei diesem Körper.
    Leo probiert die grüne Suppe und leckt den Löffel ab. »Du wolltest zum Vögeln die volle Wattstärke. Alle Lampen mussten eingeschaltet sein. Die Rollläden durfte ich auch nicht runterlassen. Wir waren besser ausgeleuchtet als jeder Pornoset. Dabei waren wir an dem Abend ja noch gar kein solches Paar, möchte ich mal sagen. Das war, bevor es solche Filmklassiker gab wie Pussimuckl - Eine Zwergin wird geil oder Pimpernocchio - Er hat den Längsten . Unser erster Fick war ja rein privat, zumindest drinnen hinter der Fensterscheibe. Wer draußen alles mitonaniert hat, weiß ich nicht.«
    »Manchmal braucht man Publikum«, sage ich und reiche ihm das dampfende, frisch gebackene Brot, das Jannik gerade serviert hat. »Da ist leider kein Dooser draufgetoastet«, kichere ich und greife mit der anderen Hand nach meinem Champagnerglas. Unsere Hände berühren sich kurz, und ich erinnere mich wieder ganz genau, wie sie war, diese erste Nacht mit Leo - weil ich wusste, dass
mein Mann draußen stand und zusah, wie ich diesen fremden Mann fickte. Ich hatte ihm in der Bar Leos Adresse durchgegeben und ihn dorthin bestellt. Er sollte schon sehr genau wissen, was er jetzt ein Jahr lang nicht mehr bekommen würde und was er aufs Spiel setzte, als er beschloss, »nur Sex« mit Madhuri zu haben.

    »Zieh dich aus«, herrschte ich ihn an und war selbst überrascht, wie entschieden meine Stimme klang. »Leg dich da auf den Esstisch.«
    »Direkt vors Fenster?« Ich schob ihn ohne eine Antwort zu dem großen Glastisch. Unter der Deckplatte gab es eine Ebene, die nach Lust und Laune bestückt werden konnte. Leo hatte hier eine Dooser- und Fraggle-Kolonie nachgebildet. Die kleinen grünen Knollenmännchen ratterten auf ihren Baumaschinen durch Gänge in die angrenzenden Glasfächer und bearbeiteten mit ihren Presslufthämmern und Abrissbirnen das Labyrinth dieser Dekofläche.
    Die ganze Wohnung war mit Designermöbeln und Devotionalien aus Kinderserien vollgestopft. Eine ganze Wand gehörte Ernie und Bert, die sogar aus silbernen Rahmen lächelten wie in anderen Wohnungen Familienmitglieder auf Fotos. Zwischen lebensgroßen Plüschfiguren von Roadrunner, Homer Simpson und Miss Piggy hingen nachkolorierte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Landschaften und Körperdetails. Das Ganze war perfekt aufeinander abgestimmt; Kitsch, Krempel und Kunst hielten sich so die Waage. Ich hatte das Gefühl, Teil einer riesigen, obszönen Muppetpuppen-Installation zu sein.

    Leo sammelte nicht einfach Kram aus seiner Kindheit, das sah ich gleich; er hatte eine wundersame, schrille Welt komponiert, aus Schweineschnauzen, Gummientchen und Krümelmonstern. Ich wollte dieses Sammelsurium in Ruhe auf mich wirken lassen. Die vielen kleinen blinkenden und spiegelnden Prismen des modernen Kronleuchters fluteten das Zimmer mit gelblich-weißem Licht.
    Nackt und stumm, mit großen Augen wie eine gerade abgesetzte Handpuppe, wartete Leo auf der kalten Platte und sah mich erwartungsvoll an. Ich ließ mir Zeit, ihn von oben bis unten zu betrachten. Er war attraktiv, mit seinen hellblonden, leicht punkig geschnittenen Haaren, die mich an die Achtzigerjahre erinnerten. Daran merke ich immer, dass ich älter werde: Wer sich an die stacheligen Hinterköpfe der

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