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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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verlaufen.«
    Ich hätte heulen können, als ich mir selbst zuhörte, wie traurig das klang. Schnell verließ ich das Séparée und beschloss, dass die Party für mich vorbei war und ich meinen Mantel am nächsten Tag holen würde. Es war sowieso noch ziemlich warm, obwohl es schon weit nach Mitternacht sein musste. Draußen auf dem beleuchteten Parkplatz atmete ich tief durch.

    Der Mann mit dem Kleiderbügel fiel mir erst auf, als ich ihn leise fluchen hörte.
    »Was machst du denn da?«, herrschte ich ihn streitlustig an.
    »Das ist mein Auto«, behauptete er schnaufend, »ich find nur den Schlüssel nicht.«
    Angesichts der bunten Seidenschals, die die ganze Hutablage bedeckten, schien mir das unwahrscheinlich. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und erkundigte mich, ob er freiwillig verschwinden würde oder ob ich ihn erst überfahren müsste. Dabei deutete ich auf mein eigenes Auto, das nur wenige Meter entfernt stand.
    »Nicht nötig, ich hab’s gleich«, und da hatte er auch schon das Knöpfchen mithilfe des Kleiderbügels hochgezogen und die Fahrertür geöffnet.
    »Es gehört meiner Freundin«, sagte er, stieg ein, suchte im Handschuhfach und in den Taschen, die auf dem Rücksitz standen, und fischte schließlich eine richtig teure Spiegelreflex-Digitalkamera mit großem Teleobjektiv heraus, die er fast fallen ließ und mit zitternden Fingern anschaltete.
    »Geh zurück in deine Tonne, Oskar, das glaubt dir keiner.«
    »Ist ja gut«, erwiderte er ungeduldig. »Es ist die Karre von einer Frau, die meine Freundin kennt, meine Exfreundin, wenn du’s genau wissen willst, Madhuri. Madhuri ist spurlos verschwunden. Sie hatte eine Affäre mit irgendeinem Typen. Ich kenn ihn nicht. Wir haben uns getrennt, sie ist verschwunden. Niemand weiß, wo sie steckt, okay?«

    Er schnaufte und holte tief Luft. »Ich weiß nicht mal, ob der Typ ein Irrer war und sie zerlegt und irgendwo verscharrt hat. Du weißt schon, Sack drüber, Kofferraum auf, rein in die Grube und schaufeln. Ich will sie gar nicht zurück, aber ich will ein paar Antworten, und vor allem will ich wissen, was eigentlich passiert ist.«
    Ganz klar, der Typ war eine Labertasche. Dann aber rollte mitten in seinem Redeschwall eine dicke Träne über seine Wange. Er wischte sie nicht weg und gab sich auch keine Mühe, sie vor mir zu verbergen. Das beeindruckte mich. Außerdem konnte ich seine Verzweiflung gut nachvollziehen. Und er war niedlich, gar nicht wie ein Autoknacker, eher wie eine Muppetpuppe. Er konnte keine Sekunde stillstehen, hüpfte hierhin und dorthin und redete ohne Unterlass. Vielleicht hatte er auch eine Überdosis Red Bull intus.
    Doch da blieb noch die Kamera. Ich zeigte darauf: »Und das?«
    Er drückte hektisch auf kleinen Knöpfchen herum, hielt das Display näher vors Auge und murmelte: »Diese Frau, ich mein die, der die kleine Wurzel hier gehört, hat da drinnen erzählt, sie habe Madhuri gesehen, vor einem Monat oder so. Mit einem Mann. Das muss der Typ sein, wegen dem sie mich verlassen hat. Der Arsch. Zeitlich kommt das hin. Vielleicht krieg ich so irgendwas raus. Diese Frau fotografiert auch, genau wie ich. Ich kenn das, man fotografiert einfach alles, ist wie’ne Sucht.«
    Dann wurde er leichenblass. Und als wäre ich eine enge Vertraute und nicht irgendeine Fremde, die ihn beim Autoknacken erwischt hatte, hielt er mir die Kamera hin. »Da, guck mal, das ist Madhuri. Und er.«

    Ich drehte mich zum Licht und sah mir das Foto an. Es war offenbar in einem Park aufgenommen. Auf einer Bank saß ein Pärchen. Sie hatte ihre Beine über seinen Schoß gelegt, und beide lachten. Ich vergrößerte den Ausschnitt.
    Jetzt hätte ich fast die Kamera fallen gelassen. Das Gesicht des Mannes war kaum zu sehen, er vergrub die Nase in ihrem Haar, aber ich erkannte ihn auch so. Ich weiß nicht, wann dieser magische Moment eintritt, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt erkennt man seinen Mann einfach, auch wenn nur wenig von ihm auf einem Bild zu sehen ist.
     
    Sein Haar. Sein Hemd. Sogar seine Armbanduhr. Und ich wusste genau, was er ihr in dem Moment sagte, und wieso sie lachte. Er hatte gerade, als das Foto entstand, tief durch die Nase Luft geholt und dann alles aufgezählt, woran ihn der Duft ihres Haars erinnerte. Und das waren durchaus nicht nur die Klassiker Blumenwiese und Meeresbrandung, sondern lustige, abgefahrene Dinge: der Fahrtwind auf einer Vespa durch einen römischen Vorort zur Mittagszeit, das Eis in der kleinen Konditorei

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